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Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2

Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2

Titel: Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
Autoren: Arthur Conan Doyle
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Silver Blaze

    »Ich fürchte, Watson, ich muß fahren«, sagte Holmes eines Morgens, als wir uns zum Frühstück niedersetzten.
      »Fahren! Wohin?«
      »Nach Dartmoor – nach King’s Pyland.«
      Ich war nicht überrascht. Ich wunderte mich nur darüber, daß er bis jetzt noch nicht in diesen außerordentlichen Fall einbezogen worden war, der landauf, landab den einzigen Gesprächsstoff bildete. Einen ganzen Tag lang war mein Gefährte im Zimmer umhergewandert, das Kinn auf der Brust und die Stirn gerunzelt, hatte die Pfeife wieder und wieder mit dem stärksten schwarzen Tabak gestopft und sich gegenüber allem, was ich fragte oder bemerkte, absolut taub verhalten. Die neuesten Ausgaben aller Zeitungen waren uns von unserem Zeitungshändler heraufgeschickt und doch nur überflogen und in die Ecke geworfen worden. Aber wie er auch schweigen mochte, ich wußte genau, worüber er brütete. Es gab nur ein Problem in der Öffentlichkeit, das seinen analytischen Verstand herausforderte, und das war das sonderbare Verschwinden des Favoriten des Wessex-Cups und der tragische Mord an seinem Trainer. Als er darum plötzlich die Absicht verkündete, sich an den Schauplatz des Dramas zu begeben, war das nur, was ich erwartet und erhofft hatte.
      »Ich wäre sehr glücklich, könnte ich Sie begleiten, wenn ich nicht im Wege bin.«
      »Mein lieber Watson, Sie täten mir einen großen Gefallen, wenn Sie mitkämen. Ich denke, daß Sie dadurch Ihre Zeit nicht vertun. Denn es gibt in diesem Fall Punkte, die absolute Einmaligkeit versprechen. Wir haben gerade noch Zeit, den Zug ab Paddington-Station zu erreichen, und ich werde auf der Reise alles Nähere erklären. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie Ihren hervorragenden Feldstecher mitnehmen würden.«
      So fand ich mich denn ungefähr eine Stunde später in der Ecke eines Abteils erster Klasse wieder, unterwegs in Richtung Exeter; Sherlock Holmes, dessen hageres, begieriges Gesicht von einer Reisemütze mit Ohrenklappen eingerahmt war, vertiefte sich sofort in das Bündel neuester Zeitungen, das er auf dem Bahnhof gekauft hatte. Erst als Reading schon weit hinter uns lag, warf er das letzte Blatt unter den Sitz und hielt mir sein Zigarrenetui hin.
      »Wir kommen gut voran«, sagte er, blickte aus dem Fenster und dann auf die Uhr. »Gegenwärtig beträgt unsere Geschwindigkeit dreiundfünfzig und eine halbe Meile in der Stunde.«
      »Ich habe nicht auf die Viertelmeilensteine geachtet«, sagte ich.
      »Ich auch nicht. Aber die Telegraphenmasten längs dieser Linie stehen in einem Abstand von sechzig Yards. Da ist die Rechnung einfach. Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie schon einen Blick auf den Fall der Ermordung von John Straker und des Verschwindens von Silver Blaze geworfen haben?«
      »Ich habe gelesen, was der ›Telegraph‹ und der ›Chronicle‹ berichten.«
      »Das ist einer jener Fälle, in denen die Kunst des Detektivs eher danach trachten sollte, die Einzelheiten zu sichten, als nach neuen Beweisen zu suchen. Die Tragödie ist so ungewöhnlich, so total, und an den Geschehnissen haben derart viele Leute ein so großes persönliches Interesse, daß wir an einem Übermaß an Verdacht, Mutmaßung und Hypothese leiden. Die Schwierigkeit besteht darin, das Gerüst der Fakten – unbezweifelbarer Fakten – von den Zutaten der Theoretiker und der Reporter zu befreien. Dann, wenn wir uns auf eine feste Grundlage gestellt haben, ist es unsere Pflicht, zu schauen, welche Schlüsse gezogen werden können und welches die besonderen Punkte sind, auf denen das Geheimnis beruht. Am Dienstagabend erhielt ich zwei Telegramme, eins von Colonel Ross, dem Eigentümer des Pferdes, und eins von Inspektor Gregory, der mit dem Fall befaßt ist, und in beiden werde ich zur Mitarbeit eingeladen.«
      »Dienstagabend!« rief ich. »Und jetzt ist Donnerstagmorgen. Warum sind Sie nicht schon gestern hingefahren?«
      »Weil ich einen Bock geschossen habe, mein lieber Watson, und das, fürchte ich, passiert öfter, als jemand annehmen könnte, der mich nur aus Ihren Memoiren kennt. Tatsache ist, ich konnte nicht glauben, daß es möglich wäre, das bemerkenswerteste Pferd Englands lange verborgen zu halten, besonders nicht in einem so dünnbesiedelten Gebiet wie dem Norden von Dartmoor. Von Stunde zu Stunde habe ich gestern zu hören erwartet, daß man es gefunden habe und daß der Entführer der Mörder von John Straker sei. Als dann der Morgen anbrach und
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