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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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Rohre gut sind, die sich durch den Ostteil der Stadt ziehen. Oder zogen? Ich weiß nicht einmal sicher zu sagen, ob es sie überhaupt noch gibt, egal. Duane Reade ist eine andere Sache, das Logo der Drogeriekette verschwindet ebenfalls während der Heimflüge, hier, während meines Spazierens durch die Straßen sind mir die Duane-Reade-Schilder wie Bojen. Ebenso die gelben Parking-Pfeile an den Eingängen der Tiefgaragen, die Filialen von Starbucks, Vitamin Shoppe, Pret a Manger. Die Schattigkeit auf den Straßenund Bürgersteigen hier fällt mir komischerweise erst wieder ein, wenn ich selbst vor Ort bin. Die goldenen Hydrantenanschlüsse, die auf Kniehöhe aus den Fassaden ragen. Die Kebap-Verkäufer an den Straßenecken, der Geruch des Sauerkrauts. Dass es Tankstellen gibt in den Seitenstraßen. Dass man nach dem Austrinken des Kaffees nicht etwa noch sitzen bleibt, sondern zahlt und geht.
    Als das Sonnenlicht schwindet und die Übermüdung spürbar wird, macht sich damit auch dies Gefühl in mir breit, von dem ich noch nicht sagen kann, ob ich es angenehm finden soll oder eher schmerzhaft. Es ist jedenfalls intensiv und ich habe es nicht gekannt: es beginnt damit, dass die Gedanken an J vordringlicher werden. Ich denke eigentlich unausgesetzt an sie, seit diesem Abend, als wir uns vor dem Bücherregal trafen; Julia ist das Erste, das mir sozusagen vorschwebt, wenn ich aufwache, und Julia ist das Letzte, wenn ich in die Besinnungslosigkeit hinübergleite.
    Wenn. Ich habe seit einiger Zeit nicht mehr allzu viel geschlafen. Was nicht an dem vielen Denken an Julia liegt, denn es sind ja keine gerichteten Gedanken, keine Grübelei, es fühlt sich so an, als ob meine Gedankenwelt zu einer mich umschwirrenden Melodie geworden ist. Und eine der beteiligten Stimmen beschäftigt sich monothematisch mit ihr.
    Und bei Dämmerung wird diese Stimme dringlich; die Empfindung dehnt sich wie Seitenstechen unter dem Bogen des Brustbeins aus. Es sticht nicht, ich fühle eine Höhlung. Komischerweise hilft es, wenn ich mir die Seite halte und leise seufze. An der dreizehnten Straße betrete ich eine Filiale von Duane Reade und kaufe ein paar Tuben amerikanischer Zahnpasta, deren Namen und Verpackungen mir gefallen. Durch den Zahnpastakauf wird das beunruhigende Gefühl vorübergehend gemildert. Es sind auch nur noch wenige Blocks bis zum Hotel.
    Ich bestelle mir eine Flasche Sancerre auf mein Zimmer und dazu Fritten mit Tabasco und Senf. Pakete und Kuriersendungen wurden bereits nach oben gebracht. Ich lasse mir ein Bad ein und gehe, bis der Roomservice läuten wird, durch meine Mails. Erin, meine Stilkolumnistin, erinnert mich an die Preshowparty von Calvin Klein heute Abend. Die Location ist das sogenannte Marcy Hotel in Williamsburg – das sagt mir etwas; irgendetwas – aber ich komme nicht drauf. Ich google die Website des Hotels auf dem Vorabmodell des iPads. Das Gerät, das im Sommer erscheinen würde, lief damals noch unter dem Namen iSlate (den ich weiterhin sehr gut finde). Von den Bildern auf der Website her erscheint mir das Marcy für Williamsburger Verhältnisse erstaunlich modern und dazu überdimensioniert (über zweitausend Zimmer, dreizehn Stockwerke? Ein extrem breiter Kasten muss das sein, wenn das Standard für knapp fünfhundert Zimmer achtzehn Stockwerke braucht). Ich verabrede mich mit Erin, sie wird mich abholen.
    Ich mache eine Aufnahme des Tabletts vor dem Panorama meines Glaskastens, das mittlerweile wie das Universum selbst aus viel Schwarz und dem Glitzern der mich umgebenden Gebäude besteht. Tief unten, trübes Auge des dicken Frosches: das Diane von Furstenberg’sche Studio; haufenweise Sträuße vor dem Schaufenster von Alexander McQueen.
    Das Essen wird kalt, ich habe seit jenem Abend nicht mehr allzu viel gegessen, bestelle Speisen zur Tarnung, damit das nicht auffällt. Den Weinkühler plaziere ich auf dem Badewannenrand. J kommentiert das Foto meines Abendbrots trotz später Stunde in Berlin mit nur wenigen Minuten Verzögerung, und das hat einen bekannten, ersehnten, doch unbegreiflichen Effekt, der sich auch künftig nie abnutzen wird (weswegen bald eine körperliche Abhängigkeit von der Möglichkeit des Kommunizierens entsteht): Das mittlerweile beunruhigende Gefühl des Ausgehöhltwerdens wie ein Kürbis weicht abrupt der Euphorie; der von ihr formulierte Satz enthält kein Wort sentimentaler Bedeutung und dennoch: er wirkt wie ein geflüstertes Ich bin hier.
    Die Aufzugskabinen im
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