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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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Standard sind komplett schwarz ausgestattet, die Böden aus Gummi, Wände und Decke aus spiegelndem Material. Hat sich die Kabinentür erst einmal verschlossen, sind die zu beiden Wandseiten eingelassenen Monitore die einzige Lichtquelle des Raumes. Auf beiden läuft synchron eine Filmschleife, die eine Collage bewegter Bilder wiedergibt. Wer in einem oberen Stockwerk einsteigt, sieht dort Michael Jackson, der auf einer Wolke seinem Moon Walk nachgeht; den Pillsbury Doughboy und einen Zeppelin, auf dem in Flimmerschrift erscheint: THE WORLD IS YOURS . Ich erkenne Erin von Weitem, sie sieht wie ein Engel aus in ihrem schwarzen Wollmantel, höchstwahrscheinlich Rick Owens, und dem streifig blondierten Haar. Erin wiegt selbst jetzt, im New Yorker Winter nicht mehr als fünfundvierzig Kilogramm, in ihrem ovalen Gesicht gibt es vor allem ihre vergleichsweise riesigen Augen zu sehen. Ein Puppengesicht, Walt Disneys Kindchenschema, Erin ist Bambi on Drugs. Der Kleinwagen mit dem Nummernschild aus New Jersey, dem sie nach dessen kleiner Runde um den Block soeben entstiegen war, gehört nicht wirklich einem Freund.
    Schau nicht so intensiv, sagt Erin, während wir uns die drei Begrüßungsküsse geben.
    In letzter Zeit ist er leicht paranoid geworden. Er konsumiert zu viel von seinem Zeug.

    Sie schaut den Rücklichtern nach, die sich in einer Dampfwolke verdünnen: Neulich warte ich auf ihn vor dem Haus, sagt Erin, während wir in das Taxi steigen, dass uns einer der Bellboys herangewunken hat. Und da er die Autos ständig wechselt, halte ich Ausschau nach einem Nummernschild aus New Jersey. Wie ich dann zusteige, fragt er mich sofort, weshalb ich ihm derart aufs Nummernschild starrte: You’re freakin’ me out!
    Ich ziehe das iSlate aus meiner Tasche und biete es Erin als Unterlage an. Sie wischt die Glasplatte mit dem Ärmelstoff sauber und hackt sich darauf eine Menge der Substanz aus dem bläulichen Ziplock Beutelchen zurecht. Ich lehne dankend ab (um mich gleich darauf des iPhones in meiner linken Hosentasche zu versichern), Erin zieht aus ihrer Clutch ein vergoldetes Kaffeeumrührstäbchen von McDonalds, mit dem sie sich ein paar Prisen in die hübsche Nase löffelt und manierlich schnieft. Coffee Stirrer ist ein Multiple des Künstlers Tobias Wong, der sich am dritten Juni 2010 von allen Freunden unbemerkt das Leben nehmen würde.
    Mit abwesendem Gesichtsausdruck betätigt sie den Homebutton des iSlates, die Glasplatte leuchtet auf, unter den dunkel wirkenden Krümeln erscheint das Gesicht von Julia Speer.
    Who’s that?
    Erzähle ich dir ein andermal. Beizeiten. Erin ditscht die Krümel mit der Zeigefingerspitze von Julias Lippen, Julias Nasenrücken, ihrem lieben Auge. Erin massiert sich die Krümel ins Zahnfleisch.
    Kein Stau auf der Brücke. Die andere Seite, von der Joe Jackson singt.
    Dass es sich bei dem Marcy Hotel, unweit der Bedford Avenue gelegen, um ein den Williamsburger Verhältnissen total angemessenes Reihenhaus handelt, wundert mich ebenfalls nicht.
    Erin hat mir ihre Drogen zugesteckt, die ich, oberhalb meines Knöchels in der Socke versteckt, durch die Security schmuggle. Ich finde es immer etwas irritierend, wenn innerhalb einer Gruppe unterschiedliche Drogen konsumiert werden oder dieselbe in unterschiedlichen Dosierungen. Zwischen Erin und mir gibt es gerade keine nennenswerte Klippe, aber als wir die Schleuse passiert haben, werden wir sozusagen in ein fremdartiges Element entlassen: Der Raum ist gefüllt mit Menschen, die uns größtenteils bekannt erscheinen, aber die Luft scheint dort zu Gelee geronnen, jede Bewegung wirkt träge und seltsam verzögert. Das Licht ist ziemlich weit heruntergedimmt. Der DJ spielt eine Musik, die mir fremd ist. Ein irritierend langsamer Rhythmus, total simpel, Bassdrum und Handclaps, darüber wird der Ton einer Violine ins Unendliche gedehnt, und während wir die Kollegen begrüßen – Kai Margrander und Dirk van Versendaal und Jeroen van Rooijen und Tillmann Prüfer und Annette Weber und Katrin Kruse, Manuel Frei, Christoph Amend, Silke Wichert, Tabassom Charaf und Christiane Arp –, wird diese Musik, die mich derart in Beschlag nimmt, dass ich nichts von dem höre, was mir während der Dreifachküsserei ins Ohr gerufen wird, nur noch langsamer und noch langsamer und ich beobachte den DJ , der unglaublich jung aussieht und sogar Pickel hat und mich dadurch an den frühen James Lavelle erinnert, als plötzlich eine mit Traktor zu überirdisch tief gehender
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