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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Joachim Bessing
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Schönheit heruntergebremste Stimme zu singen beginnt. Drüben am Tresen macht Ashley Heath mit Julia Restoin-Roitfeld herum und Kai Margrander meldet, dass deren Mutter, Carine, bereits auf dem Weg ist. Und während Jeroen eineAnekdote von André Leon Talley beginnt, die ich bereits kenne, drückt mir Erin einen kühlen Becher aus Porzellan in die Hand, in dem Eiswürfel sind und eine lila schäumende Flüssigkeit, die ich für einen Chambord-Cocktail halte, aber der Drink schmeckt nicht nach Himbeeren, sondern nach Zahnarzt.
    Klaus Stockhausen berichtet, dass John Galliano es mittlerweile mit seinem Botoxkonsum derart weit getrieben habe, dass man ihn in Paris nur noch als Johnatella kennt. Von ihm erfahren wir ebenfalls, dass es sich bei der lila Substanz um Hustensaft auf Eis, aufgegossen mit ein klein wenig Sprite und etwas Champagner, handelt. Zwischen den Eiswürfeln schwimmen rote und blaue Bonbons. Der Marke Jolly Rancher, wie Klaus zu präzisieren weiß (der ein mit schnurrbärtigen Flamingos digital bedrucktes Hemd aus Seide trägt). Bei diesem Drink handelt es sich um eine verfeinerte Zubereitung des ominösen Drank, der in der texanischen Cut’n-Screw-Szene erfunden ward (womit auch immer die sich beschäftigt haben mag). Genau genommen im dortigen Houston, aber mitnichten erklärt sich von daher die Zubereitung mit Hustensaft, sondern des darin enthaltenen Codeins wegen. Von eben dessen Wirkung ich bald zu spüren bekomme, als Kai sich eine weitere Mentholzigarette anzündet und ich dabei dem Drang nachgebe, ebenfalls mal ganz tief durchzuatmen, um danach so richtig schön langsam auszuatmen. Tut sehr gut, fühlt sich exzellent an. Wo vorher die Höhlung war, rechts unter meinem Rippenbogen, breitet sich durch das tiefe Ein- und Ausatmen ein wohliges Flackern aus. Ich halte mir die Seite, alle halten wir uns die Seiten, wir schauen uns an oder wir schauen zum DJ und wir atmen tief ein und danach wieder aus – schön.
    In aller Ruhe suche ich nach dem iPhone, das ich nachkomplizierten Bewegungsabläufen in der Hosentasche identifiziere. Das Aufleuchten des Displays bringt mich in Schwierigkeiten und ich muss das iPhone einige Male aus- und gleich danach wieder einschalten, bis ich mich in der Anordnung der Programmsymbole zurechtfinde. Die pulsierende Scheibe dreht sich gemächlich vor dem grellblauen Grund, bis mir Shazam angibt, um welchen Song es sich handelt. Denn wir hören hier seit Stunden, Tagen, diese ganze Nacht jedenfalls ein unendliches Stück, es heißt: Time For Us.
    Darauf trinken wir noch eine Kleinigkeit.
    Die Becher sind hübsch.
    Konstantin Grcic. Für Nymphenburg – ich drehe meinen Becher, um das Vorhandenseins des Manufakturstempels auf der Standfläche zu überprüfen: Tatsache! Drink und Eis und Jolly Rancher kleben auf meiner weißen Jeans, ich sehe das, ich bin auch irgendwie nahe dem Bestürztsein, aber weder spüre ich die Kälte des Eises noch die Nässe des Saftes.
    Ist das schön!
    Und dann.
    Ich merke, dass ich ganz schön geschwächt bin, und ich zittere bei dem Versuch, das Tütchen mit Erins Drogen aus meiner Socke zu ziehen (worum sie mich vor einiger Zeit gebeten hat). Ich muss mich hinhocken, aus dem Stand geht es nicht. Es ist ziemlich dunkel dort unten. Das Dunkel wimmelt vor bunten Punkten, mein Display zeigt eine unterbelichtete Fotografie. Ich höre Kinderlachen, aber beim Versuch eines Schulterblicks gerate ich aus dem Gleichgewicht und kippe zur Seite, das iPhone fällt mir aus der Hand, mit der ich mich abstützen will, es schliddert über den Boden zwischen die Schuhe von Menschen, die ich nicht erkennen kann, weil ich meinen Blick nicht mehrim Griff habe, mich aber davon abgesehen so auf der Seite liegend gleich wohler fühle als zuvor in der Hocke. Das Kinderlachen gehört zu der Musik, stelle ich fest und muss lächeln, zufrieden über diese Erkenntnis, denn damit habe ich ein Problem gelöst. Dann wird eine uralte Stimme herangeweht, sie fängt an zu singen und wiederholt sich dabei. Ich verstehe sie gut. Die Klänge sind leicht, sie können schweben und sind, wenn sie in meinem Gehirn angelangt sind, durch den Raum gefiltert worden: kühl und lupenrein. Die Stimme singt: Elle ne m’écoute pas.
    Aber das ist es nicht, es liegt auch nicht an dem Gesichtsausdruck, mit dem mir Erin das iPhone hinstreckt, dessen Display zersplittert ist, als ob jemand, als ob Senta Kustermann ein winziges Projektil mitten hineingefeuert hätte. Mir wird bewusst, dass
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