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Framstag Sam

Framstag Sam

Titel: Framstag Sam
Autoren: Paul van Herck
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Erstes Leben
     
     
    Verzweifelt krallten sich Sams Hände in den abbröckelnden Rand des Abgrunds. Mit Entsetzen stellte er fest, daß sich zu allem Übel auch noch ein Krampf anschickte, langsam aber sicher die Oberhand über seine Finger zu gewinnen.
    Er rutschte ab.
    Und…
    Um ganz ehrlich zu sein: Sam hing natürlich nicht am Rande eines Abgrunds. Er hatte nicht mal einen Krampf in den Fingern. Genaugenommen gab es im Umkreis von mehreren Kilometern nicht einmal ein Loch, an dessen Rand sich jemand hätte verzweifelt festkrallen können. Aber ich lernte kürzlich einen Verleger kennen, der mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu verstehen gab, daß er beim Begutachten von Romanmanuskripten im Grunde nur Wert auf den ersten Absatz legt. Und wenn der spannend ist… Na?
    Und abgesehen davon kann ich jetzt natürlich noch nicht genau wissen, wie es mit Sam weitergeht; schließlich haben wir es ja mit seiner Lebensgeschichte zu tun, und da kann es natürlich gut möglich sein, daß er – sagen wir, um das Kapitel sechsundzwanzig herum – wirklich an einem Abgrund hängt und verzweifelt seine Finger in dessen abbröckelnden Rand krallt.
    Da wir gerade von verzweifeltem Ankrallen reden: Ich hatte mal einen Freund, dem gefiel diese Art von Zeitvertreib ganz ausgezeichnet. Ich hatte eigentlich vorgehabt, dieses Buch ihm zu widmen, weil er zu denen gehört, die einem nie etwas nachtragen.
    Er nicht, in keinem Fall.
    Eher seine Witwe.
    Aber man weiß ja, wie die Leute heutzutage sind: ziemlich empfindlich.
    Aber zur Sache!
    Sam war Autor. Er hatte sich außerdem jenes undankbare Genre ausgesucht, das man Science Fiction nennt (was auch der Grund ist, weswegen ich ihn so gut kannte). Ich bin nämlich – in aller Bescheidenheit – derjenige gewesen, der ihn bei einem Verlag unterbrachte, denn in Flandern war ich mit einem veröffentlichten Titel bereits ein bekannter Schriftsteller. Da mein Verlag (De Kentaur, Antwerpen) außerdem bereits zwölf Exemplare meines Werks De Cirkels abgesetzt hatte, gab ich Sam die Adresse meines Verlegers, der auch prompt eine seiner Erzählungen herausbrachte. Er war damals zwanzig Jahre alt.
    In der Zwischenzeit hatte Sam keineswegs eine ruhige Kugel geschoben. Er hatte drei sich gut verkaufende Bücher herausgebracht, wurde vom ernstzunehmenden Teil der Presse auf den Händen getragen und hatte sich den Ruf des besten niederländischsprachigen Autors in diesem Genre verschafft.
    Und nun saß er in Lotushaltung an der Rozengracht auf den Straßenbahnschienen und meditierte unter Einsatz des Wörtchens ›Om‹. Es gehörte nämlich zu seinen Angewohnheiten, vor jedem wichtigen Ereignis seines Lebens ein Weilchen zu meditieren. Und genau ein solches bahnte sich nun an. Sam war nämlich mit seinem vierten Werk unterwegs zu seinem Verleger. Das Manuskript des besagten Werks lag sauber abgetippt in einem Schnellhefter neben ihm auf dem Boden – direkt vor den Füßen des Polizisten, der es interessiert musterte.
    »Haben Sie vor, Ihren Wohnsitz hier aufzuschlagen?« fragte der Staatsdiener mit ausgesuchter Höflichkeit.
    Sam löste mit einiger Anstrengung seine Gedanken von dem Wörtchen ›Om‹ und sah ein bißchen irritiert auf. »Ich bin Schriftsteller«, erwiderte er. »Mein Name ist Sam.«
    »Das verändert die Sachlage natürlich«, sagte der Polizist. »Ich habe alle Ihre Bücher gelesen. Meine Kinder verschlingen sie geradezu. Darf ich Sie um ein Autogramm bitten?«
    Sam erfüllte den Wunsch des Polizisten und setzte noch ein paar freundliche Zeilen hinzu. Dann gab er den Lotussitz auf. Der Zeitpunkt seiner Begegnung mit dem Verleger rückte unaufhaltsam näher.
    Der Verleger (das ist jemand, der Bücher verlegt), ein fetter Mann mit fleischigen Händen, einer dicken Hornbrille und hinterlistigen Äuglein, schaute Sam hinterlistig an. (Na ja, ich weiß, aber es war nun mal so.)
    »Ich sehe dir am Gesicht an«, sagte er und bedeutete Sam mit seinen fleischigen Händen Platz zu nehmen, »daß du wieder einen Roman beendet hast. – Und mach die Tür zu!«
    Sam machte die Tür zu. Der Verleger hatte nämlich eine große Antipathie gegenüber Zug. Da der Zug jedoch schon ziemlich heftig eingesetzt hatte, wirbelten lose Manuskriptblätter durch die Luft, flatterten im Zimmer umher und verließen den Raum durch das Fenster.
     

     
    Der Verleger zuckte die Achseln. »Es war sowieso nur elender Schund«, sagte er. »Völlig wertloses Zeug. Was sich manche Leute in letzter Zeit
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