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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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spürte er, was ihm fehlte, ihm immer gefehlt hatte, jetzt, wo er wusste, wie es sich anfühlte, einen Menschen an seiner Seite zu haben, der einen liebte. Wie sehr hatte es ihn erfüllt, dass sie spielerisch Zugang zu ihm fand, was niemandem vor ihr gelungen war – nicht einmal Kosam.
    Und nun war sie gegangen oder mit Gewalt von seiner Seite gerissen worden, hatte alle Wärme und jegliches Licht mitgenommen.
    Israel fröstelte, in ihm hatte sich eine solche Kälte ausgebreitet, die ihn erschreckte. Ich darf nicht zulassen, dass sie mich weiter lähmt , dachte er und griff nach seinem Stift und einem Block, um sich wieder seinen Wortkünsten hinzugeben. Er wollte versuchen, wenigstens in seiner selbst geschaffenen Welt wieder Fuß zu fassen.
    Nebel formierte sich unbemerkt von ihm in einer Ecke des dämmrigen Ladens. Dicht an ein überfülltes Regal gepresst, verharrte ein Schatten, der nach einer Weile näher an Israel floss, und als das Kerzenlicht auf ihn fiel, Gestalt annahm, als würde das Licht ihn dazu zwingen.
    »Was zum Teufel ...«, entfuhr es Israel, und er zuckte erschrocken auf seinem Stuhl zurück, als er Ischariot erblickte. »Das ist finstere Magie!« Als die Erscheinung nichts erwiderte, schickte Israel ein gepresstes »Wer bist du?« hinterher und sprang vom Stuhl auf.
    Die beiden Männer standen sich wie zu Stein erstarrt gegenüber, als sie sich ihrer gleichen Gesichtzüge bewusst wurden. Sie musterten sich wie zwei Gegner, die sich ebenbürtig waren, weil jeder den anderen wie seinen Zwilling kannte. Und doch spürten beide ein Ungleichgewicht, das sie nicht näher hätten bezeichnen können. Doch es war da.
    Ein innerer Strudel erfasste Ischariot, als er Israels gewahr wurde, und er fühlte sich an die Zeit seines Ursprungs erinnert, die er am liebsten vergessen hätte. Er ahnte, dass er seinem wahren Meister gegenüberstand und sich ihm stellen – besser noch – ihn vernichten musste, bevor er selbst zu Fall gebracht wurde.
    * * *
    Es ging alles sehr schnell, bevor Israel reagieren konnte. Er spürte die eiskalte Hand, die nach ihm griff und einen Strom durch seinen Körper schickte, der einen drogenähnlichen Taumel in ihm auslöste. Israel war es, als würde er eingesponnen, in kleinste Einzelteile zerlegt, an einen anderen Ort »transportiert« und dort wieder zusammengesetzt.
    Der Fremde mit seinem Gesicht ließ ihn erst wieder los, als sie in einer düsteren Höhle standen.
    »Wo sind wir?«, fragte Israel, der allmählich jeglichen Mut verlor.
    »Unter dem Dom ...«, begann der Fremde, doch Israel unterbrach ihn bereits wieder.
    »Wer sind Sie?«
    Der Unheimliche lachte schaurig. »Meine Name ist Ischariot; wer ich bin, hat für dich keine Bedeutung.«
    Israel befand, dass dies eine gar wunderliche Antwort sei. Wie das gesamte Erscheinungsbild und Auftauchen des Fremden, den er nach wie vor in das Reich der Magie einordnete. Weil ihm nur das plausibel erschien.
    Er blickte sich möglichst unauffällig um und stieß einen Laut des Entsetzens aus. Die steinerne Behausung glich einer Mischung aus Gelehrtenzimmer und Folterkammer. Überall sah Israel alte Folianten, aber auch okkulte Gegenstände. Und an der Rückwand der Höhle befanden sich Pfähle, eiserne Ketten, Ringe und eine Streckbank, wie er sie von Abbildungen aus dem Mittelalter kannte.
    Ischariot schritt an einen Schrein, den ein klauenbewehrtes, flügelschlagendes Ungeheuer zierte, öffnete die Tür des Behältnisses und holte eine Karaffe hervor, die er sorgsam öffnete und von deren Inhalt er in einen goldenen Kelch goss.
    Er drehte sich zu Israel, starrte ihn mit zwingendem, hypnotischem Blick an und hielt ihm das Gefäß entgegen.
    »Trink!«, forderte er ihn mit einem väterlichen Lächeln auf, das er plötzlich auf sein Gesicht gezaubert hatte. »Dieser Wein hat eine besondere Blume. Er wird dir gut tun.« Hastig fügte er hinzu: »Und danach beantworte ich dir alle deine Fragen.«
    Israel blickte zögerlich in den Kelch. Der kostbare Rebensaft war nicht dunkelrot, sondern schwarz. Von ihm ging ein süßlicher Geruch aus, der ihn gleichzeitig magisch anzog, aber auch zurückschrecken ließ.
    Wollte man ihn vergiften?
    Wer war dieser mysteriöse Fremde?
    Was wollte er von ihm?
    »Trink«, wiederholte Ischariot, und dieses Mal war seine Stimme ein verführerisches Säuseln, das sich durch Israels Kopf zog und ihn gehorchen ließ.
    Vorsichtig nippte er an dem Getränk, dessen metallener Geschmack ihn an Blut erinnerte,
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