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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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Zuhörer, als bräuchten sie immer mehr.
    Und so ließen sie nicht von ihm ab, sondern bedrängten ihn, seine Wortschöpfungen vorzutragen, und wärmten sich an der Stimmfarbe, die er entwickelte, wenn er seine Novellen vorlas.
    Besonders Rebekka, zu der Israel in inniger Liebe entbrannt war, was beinahe an religiöse Verehrung und Hörigkeit grenzte, trieb den jungen Mann immer mehr an, seine Botschaften dank seiner Stimmgewalt zu verbreiten.
    Bald begann sich ein weiteres – leuchtendes – Netz über die Welt zu spannen und in den Herzen der Menschen Einzug zu halten, das das dunkle Gespinst, welches durch das Gefolge der Zwölf gesponnen worden war, zu bannen begann.
    * * *
    »Es gibt in Passau einen jungen Mann«, begann Hiob, räusperte sich und sortierte umständlich die Papiere, die vor ihm auf dem Tisch lagen, an dem sich Ischariot und er gegenübersaßen.
    Die beiden Männer maßen sich mit langen Blicken.
    »Und was ist so Besonderes an ihm? So sprich doch endlich! Muss ich dir jedes einzelne Wort entlocken?« Ischariots dunkle Augenbrauen hoben sich und bildeten zwei scharfe Linien, die deutlich den Unmut des Oberen zeigten.
    Hiob wusste, dass es Zeit wurde, Ischariots Zorn nicht noch zu nähren, und fuhr mit seinem Bericht fort. Mit zunehmenden Worten flüssiger und befreiter – von dem jungen Mann, der aufgrund seiner Texte und deren Wirkung auf die Menschen diese an sich band und ihnen »Licht« schenkte. Dass sie ihm folgten, als ginge eine besondere Magie von ihm aus. Und dass das dunkle Netz, das Ischariot und die dunklen Zwölf über die Welt gelegt hatten, Schaden zu nehmen begann, es Gefahr lief, gänzlich zu verblassen.
    »Sein Name ist Israel, so die Kunde«, endete Hiob und duckte sich, als wolle er einem Hieb des Oberen entgehen, als fürchte er sich vor Ischariots heftiger und vernichtender Reaktion. Doch die blieb erstaunlicherweise aus, denn der Obere saß wie zur Salzsäule erstarrt auf seinem thronähnlichen Stuhl, umklammerte mit beiden Händen so fest die geschnitzten Lehnen, dass seine Knochen hart hervortraten.
    * * *
    Erst nach langen Minuten der Stille, die Hiob wie Stunden – gar Tage – erschienen, wandte der Obere seinen Kopf zu dem Greis, der ihm gegenüber Platz genommen hatte.
    »Ein junger Mann, ein Schriftsteller, soso.« Ischariot maß Hiob mit einem strengen Blick. »Und er wirkt unserer Macht entgegen?«
    Hiob räusperte sich erneut, um den Kloß in seinem Hals zu vertreiben. »Mehr noch, er setzt Stärke in die Menschen und neue Hoffnung!«
    Ischariot musterte Hiob kalt. »Du weißt doch, was die Hoffnung ist, nicht wahr?« Als der Alte nichts erwiderte, fuhr er zynisch fort: »Hoffnung ist der Komplize der Selbsttäuschung.«
    Hiob verbiss sich jeglichen Kommentar, dachte jedoch insgeheim: Aber sie stirbt zuletzt, das wirst auch du noch begreifen .
    Der Obere setzte eine hochmütige Miene auf und nahm eine aufrechtere Haltung ein, die seinen Gesichtsausdruck noch untermauerte Seine Aura strahlte vollkommene Arroganz aus. »Auch er hat mit Sicherheit eine Schwachstelle, und genau da werde ich ansetzen!«
    Seine Worte klangen selbstsicherer, als Ischariot tatsächlich war. Denn seit Hiob von dem jungen Mann berichtet hatte, spürte er einen Strudel in sich aufsteigen und schneller und schneller drehen – als wolle er ihn hineinziehen und verschlingen.
    Es rührte etwas in ihm, und Ischariot beschloss, sich den jungen Mann einmal näher anzusehen. Nicht nur, um ihn in seinem Tun zu stoppen.
    * * *
    Hiob spürte, selbst als er längst den geheimen Ort unter dem Dom verlassen hatte, immer noch die Beklommenheit in sich, die ihn stets befiel, wenn er Ischariot gegenüberstand oder zu ihm zitiert worden war. Wie ein Pestodem zog die dunkle Aura des Oberen in jeden, der ihm entgegentrat.
    So auch in Hiob.
    Selbst in ihn.
    Es war wie eine schleichende Krankheit, die einen befiel, die Kräfte raubte, als habe die Schwindsucht Einzug gehalten, die wie ein Parasit die Lebensenergie des Wirtskörpers in sich aufnahm, bis dieser bar jeglicher Energie war.
    Hiob wusste schon seit mehreren Leben, was man über Ischariot erzählte. Doch der Obere war nicht nur ein Verräter. Hiob berichtigte sich insgeheim. Ischariot war nicht irgendein Verräter, sondern der bekannteste von allen. Hiob hatte sich immer gefragt, warum Ischariot zu einem solchen geworden war. Er glaubte den Überlieferungen nicht, dass es die pure Geldgier gewesen war. Es gab immer verschiedene Gründe, die aus
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