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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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einem Menschen einen Verräter machten; darunter auch Rache und Machtgier. Bei Ischariot vermutete er Letzteres.
    Aber der Obere war auch der Verfluchte, der Gefallene und der Heimtückische. Der dunkle Verführer, der seine zwölf Brüder um sich gescharrt hatte, und sie in dem Bund des schwarzen Blutes vereint hatte, in der Absicht, Verrat und moralischen Zerfall über die Welt zu bringen.
    Und wie alles, was Ischariot zu tun gedachte, war ihm das auch vortrefflich gelungen, weil er ohne Skrupel und frei von jeglicher Ethik war, die ihn schon in seinem ersten Leben verlassen hatte.
    Doch schien es Hiob, als seien Ischariot und die Zwölf seit ihrem Leben in Judäa einem immer unseligeren Wandel unterzogen worden. Waren sie früher Sprachrohre Gottes gewesen, hatten heilende Kräfte besessen und die Fähigkeit, Dämonen auszutreiben, waren sie mittlerweile eben jene – das Schicksal der Menschen beeinflussend.
    * * *
    Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal …
    Israel schreckte mit einem heiseren Keuchen auf und blieb schweißnass in seinem Bett sitzen.
    Der immer wiederkehrende Nachtmahr peinigte ihn seit Monaten – seit Rebekka in sein Leben getreten und ebenso abrupt wieder daraus entschwunden war.
    Von einem auf den anderen Tag war sie nicht mehr erschienen und hatte ihn in dieser kalten Welt zurückgelassen.
    Furcht macht sich in seinem Herzen breit, wenn er sich ausmalte, was ihr alles zugestoßen sein könnte. Denn er schloss die Möglichkeit nicht mehr aus, dass sie einer Gräueltat zum Opfer gefallen war.
    Allein die Vorstellung, dass ein Meuchelmörder ihr Gewalt angetan, ihr das Leben genommen, sie vielleicht gar vorher noch an Leib und Seele geschändet haben könnte, ließ ihn nicht ruhen und zog ihn in ein finsteres Tal.
    Die Ahnung, die geliebte Frau nie wiederzusehen, sich nie mehr an ihrem Lächeln zu wärmen, ihre Marmorhaut zu erkunden, sich in die schützende Heimat ihrer Umarmungen flüchten zu können, raubte ihm schier den Verstand.
    Die Welt schien ihre Farben verloren zu haben, seit Rebekka verschwunden war.
    Israel quälten Selbstzweifel. Was, wenn sie ihn doch wegen eines anderen Mannes verlassen hatte? Was habe ich ihr schon zu bieten? , fragte er sich benommen. Außer versponnenen Texten nur Armut und ein Leben im Mittelmaß .
    Erschrocken zuckte er wegen seiner Gedanken und des Wunsches zusammen, Rebekka möge lieber tot sein, als in den Armen eines anderen Mannes liegen.
    Wie tief war er gesunken, ihr aus Eigennutz und niederen Eifersüchteleien nach dem Leben zu trachten?
    Entsetzt stöhnte Israel auf. Doch der Gedanke, sie könne ihre Gunst und Gefühle einem Nebenbuhler zuwenden, schnitt tiefer als jedes Schwert in sein Herz.
    Zumal ihm dieser stetig wiederkehrende Traum einen Mann suggerierte, der ihm ähnlich sah – in Geist und Absicht aber verdorben und heimtückisch war. Diese Analogie verfolgte ihn dennoch, weil er tief in sich fühlte, dass die Traumbilder der Realität entsprachen, auch wenn er diese nicht zuordnen konnte. Das erschreckte Israel ebenso wie die Tatsache, dass er auch immer wieder Rebekkas Tod sah.
    Rebekka nackt, kopfüber an den Füßen gebunden – ausblutend.
    * * *
    Israels Unruhe und Zerrissenheit wuchs von Tag zu Tag, was auch Kosam nicht verborgen blieb. Ebenso, dass der junge Freund, seit Rebekkas Verschwinden, nicht eine Zeile zu Papier gebracht hatte. Lediglich ein Wust einzelner Blätter mit wirren Wortfetzen stapelten sich unordentlich auf dem Schreibtisch, den Kosam vor Monaten eigens für Israel hatte herbeischaffen lassen.
    Es war, als habe der junge Mann völlig den Halt verloren und sich von seiner selbst auferlegten Ordnung abgewandt, die er mit stoischer Disziplin beibehalten hatte. Auch die beinahe autistische Ruhe, die ihm immer zu eigen gewesen, war völlig von ihm gewichen. Rebekka hatte ihn zwar aus seinem Schneckenhaus gelockt und somit bereits einen Wandel vollzogen, aber seit ihrem mysteriösen Verschwinden wurde Israel von einer krankhaften Hektik getrieben.
    So auch in dieser Stunde.
    Israel wanderte wie fast jede Nacht in das Antiquariat, um hier Ruhe zu finden, wenn ihn schon der Schlaf schmählich im Stich ließ und seiner Seele die nötige Rekonvaleszenz verwehrte. Doch auch in dieser sonst heilsamen bibliophilen Welt fand er keinen inneren Halt, keinen Rettungsanker, nach dem er so verzweifelt suchte.
    Israel stieß bei dem Gedanken an Rebekka einen bekümmerten Laut aus. Wie leer war sein Leben ohne sie. Wie deutlich
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