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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern
Autoren: Tanja Kinkel
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er der Geruch nach Leichen in der Luft, sie s pürte ihn j e tzt, und er würgte ihr in der Kehle. Doch sie brachte es auch nicht fertig, noch ein m al davon zu sprechen. Sie war nie sehr gut darin gewesen, über andere Menschen zu richten, und das, das stand so weit jenseits ihres Fassungsvermögens, daß es keine W orte dafür gab. Also konzentrierte sie sich auf das, was sie sagen konnte.
    »Ich habe dich geliebt«, antwort e te sie endlich. »Eine lange, lange Zeit. Und vielleicht hast du recht, vielleicht hätte ich dir helfen können, dich überzeugen können, m it mir zu gehen, wenn ich dir genügend vertraut hätte, um dir das zu sagen. Aber Liebe ist nicht das einzige, was uns aus m acht, Philipp. Und für den Rest tragen wir alle unsere eigene Verantwortung.«
    »Und ziehen unsere eigenen Konsequenzen.« E r warf einen Blick auf die Ordonnanz, dann sagte er: »Der eigentliche Grund, warum ich dich se h en wollte, ist eine Bitte. Oder ein Geschenk, ich weiß nicht, wie du es auffassen wirst. Es könnte sein, daß ich nicht m ehr lange lebe, obwohl ich bezweifle, daß sie Unterneh m er hinrichten werden, dazu sind wir viel zu n ü tzlich, egal, welchem Regi m e. Doch ich werde w ohl einige Z eit im G e fängnis verbringen.«
    Er hielt inne und betrachtete sie prüfend, als sähe er ihr Gesicht zum ersten Mal.
    »Du weißt, daß ich noch ein m al verheiratet war.«
    »Ja, ich war? Ist sie tot ? «
    »Schon seit zwei Jahren. W i r haben einen Sohn.«
    Robert hatte es ihr nie erzählt, und so war es das einzige, was Ph i lipp sagen konnte, m it d e m sie nicht gerechnet hatte und das die Mauer, die sie um sich errichtet hatte, durchschlug. Sie biß sich auf die Lippen. Er konnte nicht wissen, was das für sie bedeutete.
    »Wir haben einen Sohn«, wiederholte er und betonte das erste W ort auf eigenartige W eise. »Derzeit lebt er m it seinem Kinder m ädchen in einem Dorf na m ens Urzing, auf dem Land war es sicherer. Ich habe dir d i e Adresse aufgesc h rieben, sie liegt dort auf dem Tisch. Ihn betri ff t m eine Bitte. Ga n z gleich, was m it m i r ge s chieht, ich möchte, daß du dich um ihn küm m erst.«
    Sie wandte sich ab. » W oher weißt du es ? « m u r m e lte sie.
    »Dein Freund Robert hat es m i r erzählt, als ich ihn und seinen Anhang aus Berlin herausbrachte. W i r wußten, daß der Krieg kurz vor seinem Ende stand, und ich fragte mich, was aus d e m Jungen werden würde.«
    Sie hätte wütend sein können, sowohl über den Vertrauensbruch als auch über die Selbstverständlichkei t , m it der Robert und Philipp annah m en, über sie und ihre Reaktionen Bescheid zu wissen. Aber selbst der Zorn, den sie vorhin wegen Kathi e m pfunden hatte, fehlte in diesem Mo m ent völlig. Statt dess e n hörte sie ihre eigene stum m e Bitte an das Kind, das nie gele b t h a tte, vor etwas m ehr als zwölf Jahren. Komm z urück, wenn ich dir etwas anderes geben kann als Illusionen und bittere Wirklichkeit.
    » W i e heiß t er ?«
    » W erner.«
     
    Werner haßte die alten Hosen, die er an die s em Tag tragen mußte. Er wuchs schnell, und sie waren ihm zu eng. Außerdem waren sie lang, und die som m erliche Hitze m achte noch nicht ein m al vor dem Inneren das Bauernhauses halt, in dem er, Lisa und der Rest des Personals von Philipp Bach m aier lebten. Im letzten Krieg s jahr trafen m ehr und mehr Flüchtlinge in Bayern ein, der Bauernhof war überfüllt, und das Zim m er, i n dem Lisa ihn unterric h tete, war keine Ausnah m e. Also sprang er m ehr als b e reitwillig a uf , als d i e B ä uerin im Türrah m en erschien und eine Überraschung ankündigte.
    Man hatte i h m i m m er w i eder gesa g t, daß er sich m ehr zurückhalten solle. Doch die Geleg e nheit, Lisa zu entko mm en, war selten, also rannte er bis zu der Tür, die in den Hof hinaus führte. Dort hielt er inne. Vor der Schwelle standen zwei völlig fremde Erwachsene, eine rothaarige F r au in einer grünen Unifor m , wie sie die Amerika n er trugen, und ein großer, bärtiger Mann.
    »Seid ihr die Überraschung ? « fragte er leicht enttäuscht, denn er konnte nichts Besonderes an ihnen erkennen. Im m erhin stand zu hoffen, daß die Frau wie die a m erikanischen Soldaten Hershe y -Riegel hatte, aber si e hielt nichts in den Händen.
    Die beiden schauten sich an, dann wieder ihn. Die Frau biß sich auf die Lippen. Plötzlich lächelte der Mann und ergriff ihre Hand.
    » W ir«, sagte er m it ei n er tie f en, v o lltö n enden S tim m e, »sind
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