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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern
Autoren: Tanja Kinkel
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Karl Kraus gesagt hätte, nach all dem Gestichel wegen d e m Pseudochri s t entum vom Jedermann.«
    Sie lächelte versonnen. »Max m einte, er ver m isse Karl Kraus, jetzt, wo der alte Zänker tot sei. Seine Feinde ver m isse m an a m Ende genauso wie seine Freunde… wenn es gute Feinde waren, und Karl Kraus sei der beste gewesen.«
    Carla ließ sie erzählen, von Reinhardt, ihren kurzen ge m einsa m en Wochen und all den Jahren, in denen sie nie die Hoffnung aufgegeben hatte, ihn eines Tages ganz für sich zu ero b ern. W ährend sie zuhörte und beruhigt feststellte, daß nirgendwo eine Morphiuma m pulle in Sicht war, fragte sie sich, ob die Nachricht von Reinhardts Tod wohl irgendwie bis über den Atlantik dringen w ürde, bis zu den Theatern, über die er einmal geherrsc h t hatte. Es war ein ganz anderes Ende der Geschichte, als es Maitger und Robert vor Jahren für Iffland prophezeit hatten, aber nie m and konnte da m als voraussehen, daß der König seinen Thron auf d i ese W eise verlieren w ürde, gewaltsa m , und als Verbannter in einer anderen W elt endete. Ihr kam in den Sinn, daß Reinhardts Leben et w as Mythisches an sich hatte, w i e seine berüh m teste Schöpfung, das Mysterium vom Jedermann. Der Beginn in Glanz, das Ende in Ar m u t , aber u m geben von den beiden Frauen, die ihn aufrechthielten, G l aube und Hoffnung. Es gab so viele Abbildungen von Helene Thi m ig als Glaube, m an konnte sich eigentlich nie m and anderen in der R olle vorstellen. Ob sich Eleonore bewußt war, daß sie während Reinhardts Exil die Hoffnung gespielt hatt e ?
    Als sie aufstand, um E l eonore ein Glas W ass e r zu holen, sah sie zu f ällig in d en großen r echtec k igen Spiegel an der W and und hatte das eigenartige Gefühl, zwei Fremde zu beobachten. Die elegante Frau kam ihr bekannt vor, aber i h r Haar hätte s chwarz s e in sollen, nicht rot; die schwarz h aarige Frau dagegen war nur ein blasses, verzerrtes Spiegelbild ihres wirklichen Selbst. Sie wurde sich bewußt, daß Eleonore jünger als sie jetzt g e wesen war, als sie sich kennenlernten, und plötzlich hatte sie den erschreckenden Eindruck, in ihre eigene Zukunft zu sehen. W ürde das ihr Ende sein? Ein Leben lang vergeblich einem Traum nachgejagt, nur um ihn am Schluß in Form einer Tragödie zu erreichen? Sie war schon nicht m ehr die junge Carla, die m it Robert beschlossen hatte, die W elt zu erobern und nichts anderes als die größten, schwier i gsten Rollen zu spielen. Und Robert? Sie horchte in sich hinein. Wo bist du, fragte sie stumm, wo bist du jet z t, was tust du? Sag m i r, daß es dir gutgeht, sag m i r, daß du noch lebst!
    » W oran denkst du ? « fragte Eleonore und zerbrach den Bann aus Vergangenheit und Ahnungen, in dem sie stand.
    »An einen Freund«, antwortete s i e, »und daran, daß wir uns versprochen haben, nie aufzugeben.« Sie lächelte E l eonore an und keh r te zu ihr zurück. »Und ich habe vor, dieses Versprechen zu halten.«
    In derselben Stunde starb in Dachau eine Frau an Hunger und Erschöpfung, die ein m al Käthe Brod geheißen hatte, bevor sie zu einer m ehrstelligen Nummer wurde. Sie wog nur noch achtund s echzig Pfund und war nicht die einzige, die in dieser Nacht in ihrer Baracke starb. Unerwartet war an ihrem T od für sie nur noch, daß sie nicht erschos s en wurde. Als m an am nächsten Morgen ihre Leiche fortschaffte, wurde die Prit s che, auf der sie gesc h l afen hatte, sofort von einem anderen Häftling eingeno mm en. Eine Woche später konnte sich kaum noch je m and an sie erinnern; es war zu schwer, daran zu denken, wie m an den nä c hsten Tag überlebte.
     

29. KAPITEL
     
    Das Zentrum von München, zwi s chen Odeonsplatz und Hauptbahnhof, existierte nicht m ehr. Von dem Jeep aus, in d e m Carla saß, versuchte sie vergeblich, Straßen zu erkennen, vertraute Gebäudeu m risse, wo si e ein m al jedes Haus g ekannt hatte, aber es war ihr unmöglich. Es gab nur eine W üste a u s Ruinen, die in der Hitze des Som m ers 1945 von einer flirrenden Aura aus S taub und Sonne u m hüllt wa r en. Lediglich e in quadr a ti s ches Gebä u de aus Bet o n, das sie noch nie gesehen hatte, stand noch. Der Fahrer m einte, das sei ein Bunker, in d em derzeit d ie Flüc h tlin g e unter g ebracht würden.
    Sie hatte Bilder gesehen, in den Zeitungen und in den Wochenschauen, aber dennoch war sie auf die W i rklichkeit nicht gefaßt gewesen. In diesem Moment war sie froh, daß Dr. Gold m ann seinen Entschluß, in A m
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