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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum
Autoren: Ines Thorn
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Seite.
    In diesem Augenblick hörte der Regen auf, als hätte es ihn nie gegeben. Die Sonne schob die schwarzen Wolkentürme einfach zur Seite und schickte ihre Strahlen wie zur Entschuldigung mit doppelter Kraft auf die Erde. Die Straße dampfte, auch aus den Wäldern stiegen Dunstschwaden auf.
    Steve Emslie riss die Wagentür auf und sprang hinaus.
    »Mist, verdammter«, brüllte er, als er bis zu den Knöcheln im Morast versank.
    Amber angelte sich die Gummistiefel, die unter dem Sitz lagen, und zog sie an. Steve grinste, als er sie in diesem Aufzug sah.
    Gemeinsam hantierten sie mit den Brettern, schoben sie unter die Reifen, bis die Räder sich endlich aus dem Matsch lösten und der Wagen nach vorn ruckte.
    Amber wischte sich mit dem Unterarm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah an sich herunter. Vor Entsetzen schrie sie leise auf: Ihr wunderschönes blaues Kleid hatte neben den kugelrunden weißen Punkten noch ein merkwürdiges Muster an braunen Flecken bekommen.
    »Oh, Gott«, stöhnte sie. »Ich sehe aus wie …«
    »Du siehst wunderschön aus.«
    Amber hob den Kopf. Sie hatte nicht bemerkt, dass Steve um den Wagen herumgekommen war und nun vor ihr stand. Behutsam streckte er die Hand aus und kratzte an einem Fleck auf ihrem weißen Kragen herum. Erstaunt ließ Amber es geschehen. Doch als er sie schließlich an sich drückte und seinen harten Mund auf ihre weichen Lippen presste, biss sie ihn heftig in die Unterlippe und stieß ihn von sich.
    Keuchend stand er vor ihr und tupfte an seiner Lippe herum. Die strahlend blauen Augen gefroren zu eisigen Pfützen. »Mach das nie wieder!«, presste er hervor und griff nach ihrem Handgelenk.
    »Nie wieder, hörst du!«
    Amber riss sich erneut los. »Und du – küss mich nie wieder! Hörst du? Nie wieder!« Dann drehte sie sich um und kletterte in den Wagen.
    Eine Zeit lang fuhren sie schweigend. Der Turm der katholischen Kirche von Tanunda war schon zu sehen, als Emslie sagte: »Dich werde ich schon noch zurechtbiegen. Darauf kannst du dich verlassen. Wenn du erst einmal meine Frau geworden bist, werde ich dir die Flausen austreiben. Und zwar alle!«
    Amber lachte los. Nein, sie fand Steves Worte nicht lustig, ganz und gar nicht. Doch die Anspannung, die sie den ganzen Tag schon mit sich herumgetragen hatte, machte sich jetzt in diesem Lachen Luft. Sie lachte, obwohl sie das zornige Funkeln in seinen Augen sah und seine Finger, die sich mit weißen Knöcheln um das Lenkrad krampften. Dann wischte sie sich mit den Handballen die Tränen von den Wangen und sagte ernst: »Ich werde niemals deine Frau werden, Steve Emslie. Der Tag, an dem ich mit dir vor den Altar trete, steht in keinem Kalender.«
    »Das werden wir ja sehen«, widersprach Emslie, und in seinen Worten lag eine unmissverständliche Drohung.
    »Amber! Wie schön, dass du endlich da bist!«, rief Walter Jordan, ihr Vater und Besitzer des drittgrößten Weingutes in Barossa Valley. Er stand am schmiedeeisernen Tor, das den Beginn der weiß gekiesten Auffahrt zum Gutshaus markierte. Offensichtlich stand er schon eine ganze Weile da, denn sein Hut und der Schirm, der jetzt achtlos an einem Baum lehnte, waren nass. Amber sprang aus dem Landrover und fiel ihrem Vater in die Arme. Sie küsste ihn auf beide Wangen, schmiegte ihr Gesicht an seines und sog den vertrauten Geruch ein.
    Dann löste sie sich von ihm und ließ ihren Blick über das Land streifen. Sie streckte die Arme von sich. »Es ist schön, wieder zu Hause zu sein! Wenn du wüsstest, wie sehr ich Carolina Cellar vermisst habe … Und dich natürlich!«
    Steve hatte ihre Tasche abgestellt und stieg wieder in das Auto. »Ich fahre noch einmal nach Tanunda. Die Traktoren brauchen Öl«, rief er und wendete den Wagen.
    »Ist gut, Steve«, rief Walter Jordan und sah seinem Verwalter zufrieden nach. Dann wandte er sich an Amber.
    »Steve arbeitet gut. Er denkt mit, das gefällt mir. Ohne ihn würde ich die Arbeit längst nicht mehr schaffen.«
    Amber zuckte mit den Schultern und sah dem grünen Landrover ebenfalls nach.
    Dann legte Walter Jordan Amber seinen Arm um die Schulter und drückte sie wieder an sich. »Jetzt bist du Winemaker«, sagte er voller Stolz. »Der erste weibliche Winemaker in der ganzen Gegend.«
    Amber nickte und reichte ihm die rote Mappe, die obenauf in ihrer Tasche gelegen hatte. »Ich war die Zweitbeste meines Jahrganges«, erwiderte sie.
    Der Winzer betrachtete das Zeugnis, dann sah er über den Rand der Brille auf seine
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