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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum
Autoren: Ines Thorn
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der Schwarzen hatten Arbeit auf den Weingütern und Farmen gefunden, die Frauen boten ihre Dienste als Köchinnen oder Putzhilfen an, die Kinder streunten durch die Gegend. Nur wenige von ihnen besuchten die Missionsschule, und nicht ein einziges Aborigine-Kind ging zum Unterricht in die städtische Schule von Tanunda. Die Schwarzen und die Weißen lebten nicht zusammen; sie lebten nebeneinander und waren darauf bedacht, möglichst wenig miteinander zu tun zu haben.
    Die Wohlhabenderen unter den weißen Männern trafen sich am Abend im Pub an der Hauptstraße, die Arbeiter auf den Gütern bevorzugten die Kneipe »Red Rose«. Wenngleich die Arbeiter denen, die ihnen Arbeit gaben, nicht ohne Vorbehalt begegneten, so zeigte sich doch eine gemeinsame Abneigung, sobald sich die Gespräche um die Aborigines drehten. Die meisten Weißen schienen vollkommen vergessen zu haben, dass ihre Vorfahren einst als Sträflinge oder Religionsflüchtlinge, in jedem Falle aber als Gejagte und Ausgestoßene aus Europa hierher nach Australien gekommen waren.
    Amber sah nach vorn. Am Horizont tauchten die ersten Hügel des Barossa Valley auf. In einer guten halben Stunde würden sie zu Hause sein.
    Doch plötzlich wurden die Wolken auseinandergerissen, und ein Regen brach los, wie Amber ihn nur selten erlebt hatte.
    Hagelkörner, groß wie Taubeneier, prasselten auf das Autodach und trommelten gegen die Windschutzscheibe. Die Wiesen neben der Straße waren innerhalb weniger Minuten von einer Eisschicht bedeckt. Kurz darauf ging der Hagel in Regen über, der mit einer solch mächtigen Kraft vom Himmel stürzte, als wäre dort der Staudamm eines gewaltigen Sees gebrochen. Die Straße weichte auf, wurde zu einem gelben Morast. Nach wenigen Minuten drehten die Räder des Geländewagens durch. Steve Emslie fluchte, dann drehte er den Zündschlüssel um.
    »Wir müssen warten, bis das Unwetter weitergezogen ist«, sagte er. »Ich habe Bretter dabei. Die können wir unter die Räder legen.«
    Amber nickte. Gemeinsam starrten sie auf die Wand aus grauem Wasser, die vor ihnen niederging. Emslie zündete sich erneut eine Zigarette an und hielt auch Amber die verknautschte Schachtel hin.
    »Danke«, sagte Amber und schob die Schachtel zur Seite. »Ich rauche immer noch nicht.«
    Steve grinste. »Weißt du schon, was du in der nächsten Zeit tun wirst?«, fragte er und steckte die Schachtel zurück in sein Hemd. Der Geruch von Männerschweiß und Tabak drang in Ambers Nase.
    »Ich werde Vater auf dem Gut helfen. Deshalb bin ich ja auf das College gegangen. Eines Tages werde ich die Kellermeisterin sein.«
    »Hm«, schnaubte Steve. »Was genau willst du tun?«
    »Auch der Wein unterliegt Moden. Ich möchte neue Sorten züchten und die Rebstöcke, die wir haben, ertragreicher machen.«
    »Wollen das nicht alle Winzer? Braucht man dafür einen Abschluss?«
    »Unsere Nordhänge haben zu viel Säure. Wir könnten mit der Lese vier Wochen länger warten als die anderen Winzer und den Wein als Spätlese ausbauen. Vielleicht sollten wir mit einigen Stöcken sogar noch länger warten. Ein guter Tresterbrand wäre uns sicher.«
    Amber hatte lange darüber nachgedacht, wie sie das Gut als Kellermeisterin gestalten würde. Sie hatte nächtelang Bücher gewälzt, hatte sich aus der Collegebibliothek Fachzeitschriften aus Europa ausgeliehen und sich so einen Überblick über den Markt verschafft. Im Unterschied zu den anderen Winzern im Barossa Valley orientierte sie sich an den europäischen Weinbauregionen und nicht an den einheimischen Vorlieben. Sogar ihre Diplomarbeit hatte sie über dieses Thema geschrieben – es lag ihr so am Herzen, dass sie automatisch in einen belehrenden Ton fiel, wenn sie jemand danach fragte.
    Steve nickte, obwohl er nicht zugehört hatte. »Dein Vater ist alt. Du bist die einzige Tochter. Du solltest heiraten, damit das Gut in die richtigen Hände kommt.«
    Amber runzelte die Stirn. »Ich muss nicht heiraten, um das Gut zu führen.«
    »In ganz Barossa Valley gibt es keine Frau, die allein ein Gut führt. Frauen führen vielleicht Krämerläden oder Geschäfte für Unterwäsche, aber keine Weingüter. Welcher Arbeiter würde schon auf eine Frau hören?«
    Amber reckte sich. Sie straffte die Schultern und hob das Kinn. »Du zum Beispiel, Steve Emslie. Wenn ich das Gut führe, wirst du gezwungen sein, auf mich zu hören.«
    Die Worte waren ihr harscher geraten, als sie gewollt hatte. Sie bemerkte den Zorn in seinen Augen und sah zur
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