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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum
Autoren: Ines Thorn
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Boden. Die Männer aber ließen ihre Blicke von Amber zu Jonah und wieder zurück gleiten.
    Walter Jordan und Orynanga standen beinahe gleichzeitig auf.
    »Wir müssen weiter, Amber«, rief Walter.
    Und im selben Augenblick rief auch Orynanga: »Jonah, ich habe mit dir zu reden.«
    Jonah und Amber sahen sich an. Das Lächeln verschwand. In Ambers Augen flackerte Besorgnis auf, in Jonahs Augen Trotz.
    Sie hielten sich mit Blicken fest. Amber stand auf, trat neben ihren Vater und wandte sich immer wieder um, als sie neben ihm hinauf in die Weinberge ging.
    »Jonah ist noch ein halbes Kind«, sagte Walter, obwohl Amber ihn nicht gefragt hatte. »Er kann kaum lesen und schreiben, arbeitet für mich, seit er vierzehn ist.«
    »Er kann lesen, und er kann auch schreiben«, widersprach Amber. »Er war in der Missionsschule. Am liebsten hätte der Priester ihn auf ein College geschickt, doch Orynanga hat es ihm verboten. Von den Ahnen sollte er lernen, nicht von den Weißen. Hätte er gedurft, wäre er heute wohl auch schon Winemaker oder vielleicht sogar Arzt. Aber wahrscheinlich hätte ein Aborigine niemals das College in Adelaide besuchen dürfen.«
    Sie senkte die Stimme und sprach leise weiter: »Er weiß so viel über die Pflanzen hier in der Gegend. Er wäre so gern Arzt geworden. Doch er ist nicht Orynangas Sohn, und er kann nicht wie ein Weißer studieren, um Arzt zu werden.«
    Der Vater antwortete nicht. Amber blieb stehen. Sie nahm all ihren Mut zusammen, dann fragte sie: »Was würdest du sagen, wenn ich einen Aborigine heiraten wollte?«
    Jordan ging weiter und tat, als hätte er nichts gehört. »Was würdest du sagen, Vater?«
    Amber ließ nicht locker. Sie rannte ein Stück und verstellte ihrem Vater den Weg.
    »Gar nichts würde ich sagen«, erwiderte Jordan. »Gar nichts, weil du keinen Aborigine heiraten wirst.«
    Sein Gesicht hatte sich verschlossen. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und sah seine Tochter ernst an. Amber senkte den Kopf. Sie wusste, dass es besser war, jetzt nicht weiterzureden, und seufzte. Die Großzügigkeit ihres Vaters hatte Grenzen. Es war eine Sache, die Eingeborenen auf seinem Grund und Boden leben zu lassen, mit ihnen zu sprechen und ihnen angemessene Löhne zu zahlen. Aber es war eine andere Sache, einen Ureinwohner in der eigenen Familie zu haben. Das wollte er nicht.
    Amber lebte hier, und sie liebte ihr Leben in Barossa Valley. Die Landschaft war ihr eine Heimat, die Menschen verwandte Seelen. Doch sie war anders als die jungen Frauen in ihrem Alter. Sie war ohne Mutter aufgewachsen. Seit sie denken konnte, hatte ihr Vater sie mit in die Weinberge genommen, hatte ihr alles beigebracht, was er selbst wusste. Niemals hatte es eine Rolle gespielt, dass Amber »nur« ein Mädchen war, und von Anfang an stand fest, dass sie eines Tages das Gut übernehmen würde.
    Sie konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als Mrs Brown, die Lehrerin, auf das Gut kam, um ihrem Vater vorzuschlagen, Amber zum Studium in die Stadt zu schicken.
    Walter Jordan hatte erstaunt die Augenbrauen gehoben. »Amber zum Studium in die Stadt?«, hatte er gefragt. »Sie ist doch ein Mädchen.«
    »Was macht das aus?«, hatte Mrs Brown gefragt. »Sie ist klug, und sie ist wissbegierig. Sie hat Begabungen und Talente, die sie an einem Küchenherd in Barossa Valley wohl kaum zur Entfaltung bringen kann.«
    Amber hatte mit angehaltenem Atem dabeigesessen. Sie wünschte sich so sehr, in die Stadt gehen und lernen zu können. Doch gleichzeitig wollte sie nicht weg von hier, nicht weg vom Gut und den Weinbergen. Sie war eine Winzertochter durch und durch.
    »Hm«, Walter Jordan kratzte sich am Kinn. »In unserer Familie hat noch niemals jemand studiert. Wir sind Weinbauern, einfache Leute. Seit Generationen schon.«
    Trotz dieser Worte hatte Amber den Stolz in seiner Stimme vernommen.
    »Ich halte es für ein Unglück, wenn ein Mensch unter seinen Möglichkeiten bleibt«, hatte die Lehrerin gesagt. »Überlegen Sie es sich.«
    Dann war sie aufgestanden, hatte Amber zugeblinzelt, war gegangen und hatte einen ratlosen Walter Jordan zurückgelassen.
    »Ist es auch dein Wunsch, zu studieren?«, hatte er Amber gefragt, und Amber hatte genickt.
    »Was möchtest du studieren?«
    »Ich bin nicht sicher. Medizin vielleicht, doch was wird dann aus dem Gut? Ökonomie interessiert mich nicht besonders. Ich möchte etwas studieren, mit dem ich hier, auf Carolina Cellar, etwas anfangen kann.«
    Walter
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