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Die Legende der Wächter 5: Die Bewährung

Die Legende der Wächter 5: Die Bewährung

Titel: Die Legende der Wächter 5: Die Bewährung
Autoren: Kathryn Lasky
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Freundin in Not

    „Wach auf, Eglantine!“ Primel rüttelte ihre Höhlengenossin energisch. „Du hast schlecht geträumt!“
    „Lass sie doch schlafen“, sagte Ginger, die dritte Bewohnerin der Schlafhöhle.
    Die junge Schleiereule mit dem rotbraunen Gefieder hatte an den feindlichen Angriffsflügen während der Belagerung im letzten Winter teilgenommen und war verwundet worden. Im Lauf ihrer Genesung hatte sie erkannt, dass sie von den Reinen den Schnabel voll hatte und lieber auch im Großen Ga’Hoole-Baum leben wollte. Allerdings hatte sie noch nicht die Ausbildung zur Wächterin durchlaufen. Eglantine hatte Ginger damals sozusagen unter ihre Fittiche genommen und war wie eine große Schwester zu ihr gewesen. Die beiden hatten sich angefreundet, aber Primel war und blieb Eglantines allerbeste Freundin.
    „Ich soll sie schlafen lassen? Damit sie sich weiter mit ihrem Albtraum herumquält?“
    Ginger erwiderte seufzend: „Sie ist müde. Albtraum hin oder her, sie braucht ihren Schlaf.“
    Eglantine schlug die Augen auf. „Warum weckst du mich, Primel? Ich hatte so einen schönen Traum!“
    „Schön?“ Ist sie gaga? „Du hast vom Tod geträumt! ‚Tot ist nicht tot‘, hast du geschrien.“
    „Gar nicht! Ich habe von der Höhle meiner Eltern im Wald von Tyto geträumt. Ich wollte gerade hineinschauen und habe mich schon so auf das Wiedersehen mit Mama und Papa gefreu t – da hast du mich geweckt!“
    Ginger tat unbeteiligt und summte ein Eulenliedchen vor sich hin, das ihr Eglantine beigebracht hatte.
    Primel verstand die Welt nicht mehr. Warum war ihre Freundin auf einmal so anders? Das geht schon eine ganze Weile so , dachte sie. Oder bilde ich mir das bloß ein? Wahrscheinlic h … Was soll ich nur machen, wenn Eglantine nicht mehr meine Freundin sein will? Das halte ich nicht aus! Primel riss sich zusammen. Sie war Eglantines beste Freundin und Schluss! Das war schon seit Eglantines Rettung s o – Primel hatte ja selbst an dem Rettungsflug teilgenommen.
    Wie die meisten Jungeulen im Großen Ga’Hoole-Baum war auch Primel von den Wächtern gerettet worden. Ein verheerender Waldbrand hatte ihre elterliche Höhle in Silberschleier zerstört. Von einem Augenblick zum nächsten hatte sie ihr Nest, ihre Heimat, ihre Eltern und ihre noch ungeschlüpften Geschwister verloren. Dann hatten die Wächter sie in den Baum gebracht, und dort fand Primel es herrlic h – und das Schönste war, dass sie eine beste Freundin gefunden hatte. Dass Eglantine viel größer war als si e – Primel war eine Sperlingskäuzi n – spielte überhaupt keine Rolle. Sie beide hatten so viel gemeinsam. Sie waren einander so ähnlich. Nei n – Primel würde nie wieder so eine gute Freundin finden wie Eglantine.
    Darum lenkte sie jetzt ein: „Tut mir leid, dass ich dich aus einem schönen Traum geweckt habe. Ich dachte, es wäre ein Albtraum. Du hast so laut geschrien und geschluchzt, dass ich mir Sorgen gemacht habe.“
    „Das war unnötig, aber du hast es gut gemeint“, erwiderte Eglantine versöhnlich. „Dann schlafe ich jetzt einfach wieder ein und träume den schönen Traum weiter.“
    Worauf sich Primel erst recht Sorgen machte.
    Es war kurz vor der Zwischenstunde, jener Zeitspanne, da das letzte Tageslicht schwand und die Dämmerung anbrach. Im Sommer war die Zwischenstunde besonders schön. Wenn die Sonne unterging, färbte sich der Himmel zartviolett. Manchmal zogen sich auch rosafarbene Streifen über den Horizont, in deren Widerschein jedes Blatt und jeder Grashalm aufleuchteten. Primel saß auf dem Ast vor der Schlafhöhle und ließ den Blick über die von dem zauberhaften Lichtspiel wie verwandelte Insel schweifen. Letzten Winter hätten sie beinahe von hier fliehen müssen, als die abscheulichen Reinen, angeführt von Sorens und Eglantines Bruder Kludd, die Insel Hoole überfallen hatten.
    Nichts ist sicher im Leben, ging es Primel durch den Kop f – und in der Freundschaft auch nicht. Ihr Muskelmagen erschauerte, denn dort sitzen bei allen Eulen die stärksten Gefühle.
    Aber sie durfte sich nicht verrückt machen. Bald würden auch die anderen Eulen aufstehen, und dann erwachte der Baum zum Leben. Am besten ging sie in die Bibliothek und lenkte sich mit einem Buch ab. Jetzt im Sommer fiel der Unterricht oft aus, und Lesen bedeutete nicht immer nur Lernen. Ein Buch mit Witzen oder Scherzfragen war jetzt genau das Richtige. Bloß keinen von den dicken Wälzern über Glutsammler-Methoden oder Wetterkunde und
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