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Unter dem Teebaum

Unter dem Teebaum

Titel: Unter dem Teebaum
Autoren: Ines Thorn
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genoss es nun, die morgendliche Kühle auf der Haut zu spüren. Der Wind spielte mit den leichten Vorhängen, die Vögel sangen, und von Weitem hörte sie eine Männerstimme, die barsche Anweisungen erteilte.
    Amber seufzte glücklich, reckte und streckte sich und betrachtete ihr Zimmer, das sie in den letzten drei Jahren nur zu Weihnachten und Ostern und während der Semesterferien bewohnt hatte.
    Ihr Bett war aus hellem Holz und weiß gestrichen. Eine bunte Patchworkdecke lag am Fußende, die Aluunda für sie gefertigt hatte. Dem Bett gegenüber stand eine weiße Schleiflackkommode, auf der einige Fotos in silbernen Rahmen standen. Auf einem war ihre Mutter Carolina zu sehen.
    Amber erinnerte sich nur schemenhaft an die Frau, die kurz nach ihrem vierten Geburtstag gestorben war. Sie wusste noch, wie sie roch, und sie erinnerte sich an ihr weiches blondes Haar, das kitzelte, wenn die Mutter sie in den Arm nahm. Obwohl Ambers Haar dunkelbraun war, war sie ihrer Mutter doch ähnlich.
    Sie hatten die gleichen grünen Augen mit den langen Wimpern, die etwas zu starken Augenbrauen, die gerade zierliche Nase und den gleichen Mund mit den vollen roten Lippen.
    Carolina war eine schöne Frau gewesen, von hohem Wuchs, mit vollen Brüsten und einem federleichten Gang. Amber war nicht ganz so schlank wie ihre Mutter und auch nicht so groß. Sie hatte die leicht gedrungene Gestalt ihres Vaters geerbt, die bei ihr allerdings ausgesprochen weiblich wirkte.
    Amber seufzte und wünschte in diesem Augenblick ihre Mutter herbei.
    Obwohl sie ihren Vater sehr liebte und sich von ihm ebenso geliebt fühlte, gab es Dinge, die sich besser mit einer Frau besprechen ließen.
    Und die Liebe gehörte dazu.
    Ob sie Aluunda um Rat fragen sollte?
    Amber reckte sich noch einmal genüsslich wie eine Katze, dann stand sie auf, wusch sich und begab sich nach unten ins Speisezimmer, das neben der Küche lag, zum Frühstück.
    Ihr Vater saß bereits da und hatte die Zeitung vor sich. Als er Amber kommen hörte, ließ er sie sinken und hielt seiner Tochter die Wange zum Kuss hin.
    »Na, wie hast du geschlafen? Sicher bist du froh, wieder im eigenen Bett zu liegen?«, fragte er aufgeräumt.
    »Ja, das bin ich«, erwiderte Amber und setzte sich ihm gegenüber.
    Sie bestrich eine Scheibe des würzigen Brotes, das Aluunda eigens zu ihrer Begrüßung gebacken hatte, mit einer ansehnlichen Portion Buschhonig und ließ es sich schmecken.
    Walter freute sich an Ambers gesundem Appetit und sah ihr zu, wie sie mit kräftigen Bissen das noch warme Brot verzehrte.
    »Ich denke, wir sollten nach dem Frühstück das Gut besichtigen«, sagte er.
    »Ich habe die Absicht, dich schon bald zu meiner Kellermeisterin zu machen.«
    »Zur Kellermeisterin? Du meinst, du überträgst mir die Verantwortung für die Kelterei?«
    Walter lächelte. »Du weißt mehr über den Weinanbau als viele andere hier. Du kennst die neuesten Züchtungen, weißt alles über Frucht- und Säuregehalt. Du hast deinen Abschluss als Zweitbeste des Jahrganges gemacht, und ich bin sicher, dass es dir an Angeboten nicht gemangelt hat.«
    Amber strahlte.
    Das Lob ihres Vaters färbte ihr die Wangen rosig.
    Doch dann zog ein Schatten über ihr Gesicht.
    »Steve Emslie wird damit nicht einverstanden sein«, gab sie zu bedenken.
    »Bisher warst du der Kellermeister. Von mir aber wird er sich nichts sagen lassen.«
    Walter lächelte. »Mach dir keine Sorgen, Kind. Wir werden sehen. Und schließlich habe ich noch nicht vor, mich zur Ruhe zu setzen. Nein, nein, Amber. Die nächsten Jahre werde ich mich wohl als Assistent an deiner Seite niederlassen. Die Leitung des Gutes werde ich noch nicht so schnell aus den Händen geben.«
    Er lachte mit so umwerfender Herzlichkeit, dass Amber mitlachen musste.
    »Ohne Orynangas Wissen hätte ich nicht so gut abgeschnitten«, gab Amber zu. »Er war es, der mir den ›spirit of wine‹ erklärt hat. Er war es, der mir beibrachte, in den Weinblättern zu lesen, die Wurzeln der Stöcke zu beurteilen und den Boden so zwischen den Fingern zu spüren, dass ich merke, was ihm fehlt.«
    Walter Jordan faltete die Zeitung ordentlich zusammen und legte sie auf den Frühstückstisch.
    »Orynanga weiß viel. Er kann Dinge sehen, hören und riechen, die uns verschlossen bleiben. Aber sein Wissen allein reicht nicht, um ein Weingut groß und rentabel zu machen. Steve kennt sich in diesen Dingen besser aus. Wir brauchen beide, Amber, Steve und Orynanga, um in Barossa Valley bestehen zu
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