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Unter dem Schwertmond

Unter dem Schwertmond

Titel: Unter dem Schwertmond
Autoren: Hans Kneifel
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fliegende Kostbarkeit. Auf den Befehl des Shallad hin bewegten die keuchenden Tragesklaven ihre Glieder noch schneller.
    Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte sich Hadamur nicht mehr auf seinen eigenen Gliedmaßen bewegen können. Jede Bewegung, die er ausführen wollte, wurde von anderen Menschen ausgeführt. Er hob nicht einmal einen Pokal an die wulstigen Lippen, obwohl er den süßen starken Wein mehr liebte als alles andere.
    »Schneller, ihr Schakale!« stieß er hervor.
    Seine Stimme war kraftlos und hell wie die einer Frau. Aber sie hatte nichts von ihrer Schärfe verloren. Jedes Wort bedeutete einen Befehl. Niemand, der einen Befehl nicht befolgt hatte, lebte danach lange. Das Leben eines Sklaven bedeutete am Hof des Shallad absolut nichts.
    Sofort rannten die Sklaven los. Der Windhauch, der dadurch entstand, kühlte den Körper des Mannes. Er war in mehrere Schichten von dünnen, aber prunkvollen Gewändern gehüllt. Sie verbargen den Koloss seines Körpers nicht, konnten nicht die aufgedunsenen Schenkel und Knie verstecken und auch nicht die Schultern und Oberarme, die so dick waren wie die Hüften ausgewachsener Männer. Gold und Silber in Fäden, zu bildhafter Stickerei vereinigt, zu Mustern und phantastischen Gestalten mit Edelsteinen und Juwelen als Augen und Krallen, verzierten die unbeschreiblich kostbaren Stoffe. Die Ballen kamen von weit her aus dem Süden und dem Norden der Welt, und auch ihretwegen waren viele Menschen gestorben.
    »Nicht so schnell!« brachte Hadamur hervor.
    Die Sklaven keuchten schwitzend eine Treppe hinauf. Die Rücken derjenigen Männer, die vor dem Shallad die federnden Stangen umklammerten, beugten sich bis zu den Stufen hinunter. Die Männer, deren Rücken und Schultern von den Peitschenhieben des Treibers gezeichnet waren und hinter dem Shallad keuchten, hoben die Stangen an. Der ovale Thron aus teuerstem Holz und kostbarstem Metall blieb waagrecht, so dass den Shallad kein Gefühl der Übelkeit oder des Schwindels befiel. Die Treppe führte in die große Halle, in der Hadamur beabsichtigte, seine Audienz zu geben.
    Nur sein Kopf und sein Finger schauten aus dem Berg von funkelnden und schweißdurchtränkten Kleidern hervor. An jedem der dicken Finger glänzten und flirrten die Ringe. Niemand wusste, wie viele solcher Kleinode der Shallad besaß.
    Ein Geräusch hallte durch den letzten Abschnitt des Korridors. Es war, als gäbe ein riesiger Eber einen grunzenden Laut von sich. Die Sklaven zuckten nicht einmal zusammen, denn sie kannten dieses Grunzen. Der Wein, den Hadamur getrunken hatte, bevor sich die Thronsesselsänfte in Bewegung gesetzt hatte, stieß ihm sauer auf. Er rülpste mit der Lautstärke eines großen Tieres. Den Becher hatte er in seinem Schlafgemach getrunken, keine dreihundert Schritte entfernt.
    »Ich sehe«, sagte er. »Ich sehe eine volle Audienzhalle. Bringt mich an den gewohnten Platz.«
    Er wartete eine zustimmende Antwort nicht ab, denn er wäre überrascht gewesen, wenn ihm jemand geantwortet hätte. Aber sein nächster Befehl bewies, dass er für diese Stunde keineswegs satt oder zufrieden war.
    »Man soll Süßigkeiten bereithalten!«
    Während die Fächersklaven schneller wedelten, während die Tragesklaven das schwere Gestell mit dem Koloss aus dem Korridor auf jene Stelle zuschleppten, an der sie den Thron abstellen würden, rannte ein Junge auf nackten Sohlen davon, um den Befehl weiterzugeben.
    Der Kopf des Shallad tauchte auf, für die Wartenden im Saal jetzt erst sichtbar. Ein gedämpfter Jubel ertönte und er füllte die riesige, säulengeschmückte Halle mit einem Summen und Brummen.
    Einige Männer holten tief Luft und stießen auf ein Zeichen des Marschalls in die goldenen Hörner. Kreischend schmetternde Laute fuhren durch die Halle und verkündeten die Ankunft des Gottkönigs. Als der Thron unendlich behutsam am oberen Ende von siebenundsiebzig flachen Stufen abgesetzt worden war, stellte sich die gewohnte Ordnung fast lautlos und in rasender Eile wieder her.
    Im Halbkreis bauten sich vor der untersten Stufe die schwerbewaffneten Krieger der Palastwache auf. Ihnen gegenüber, auf einer erhöhten und durch ein zierliches Geländer geschützten Empore, nahmen die Bogenschützen Aufstellung. Ihre Aufgabe war, die Wachen zu kontrollieren und jeden zu töten, der etwa einen Anschlag auf den Shallad beabsichtigte.
    Auf die obersten neun Stufen – mit Ausnahme der letzten Stufe – legten sich andere Sklaven. Sie durften nicht wagen,
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