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Unter dem Schwertmond

Unter dem Schwertmond

Titel: Unter dem Schwertmond
Autoren: Hans Kneifel
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Hans Kneifel
    Unter dem Schwertmond
    Riesig und dunkelrot schob sich die Sonne hinter den Bergzacken herauf. Tiefschwarze Schatten lagen hinter den Felsen und in den Vertiefungen. Sandkörner, vom Wind hergeweht, rieselten aus dem Felsspalt. In den Löchern der weißen Steine erzeugte der Wind winselnde Laute. Es klang, als ob unsichtbare Wesen voller Todesangst wimmerten. In den Pausen zwischen den Windstößen knarrten leichte Sohlen auf dem Sand, rieben sich lederne und metallene Gegenstände am Stein.
    Der Geierfelsen hatte seinen Namen daher, dass man aus der wüstenartigen Talebene den Kopf und den halb aufgerissenen Schnabel eines Raubvogels zu sehen glaubte.
    »Hodjaf wird sich freuen. Da ist Sand in der Luft«, sagte Jarany. Ohne sich zu bewegen, deutete er auf die Spur einer näher kommenden Gruppe. Die Späher hüteten sich; das Sonnenlicht könnte sich in eisernen Schließen oder den Griffen ihrer Dolche spiegeln. Urraco antwortete hart: »Sand bedeutet eine Karawane.«
    Im Grenzland zwischen Jahand und Inshal, einem kargen und gebirgigen Teil südlich der Heymalländer, gehörte das Überfallen von Wanderern und Karawanen zur Tagesordnung. Für die Bewohner der Höhlen und der Zelte an den winzigen Wasserstellen bot das Leben keine andere Möglichkeit als die Wegelagerei.
    »Sie sind in vier Stunden an den Drei Schwärenden Fingern!«
    Urraco schätzte die Geschwindigkeit der Gruppe tief unter dem Geierfelsen ab. Den Weg, den sie nehmen musste, kannte er wie den schwitzenden Inhalt seines Stiefels. »Drei oder vier Stunden. Mit Sicherheit, denn dort ist die einzige Wasserstelle.«
    »Los! Bringen wir Hodjaf die gute Neuigkeit.«
    Sie warfen einen Blick auf die Spitze der Staubwolke. Dort trabte in seinem charakteristischen Gang ein Diromo, auf dessen Tragegestell ein Zelt schaukelte. Etwa zwei Dutzend Begleiter ritten vor und hinter dem Riesenvogel. Mehr war nicht zu erkennen. Die Waffen funkelten hin und wieder auf, aber immer wieder legte sich feiner Sand auf die Gestalten und schob sich zwischen sie und die Späher.
    Jarany und Urraco kletterten zwischen den Felsen abwärts. In den Schatten hing noch die Kälte der Nacht. Die Flanken der Steine waren vom Unterschied zwischen stechender Hitze und nächtlicher Wüstenkälte und vom ewig nagenden Wind glatt wie poliertes Holz. In einer kleinen Sandlawine rutschten die Späher des Hodjaf hinunter zu ihren Reitvögeln. Die Orhaken witterten unter ihren Kapuzen ihre Reiter und knickten in den Stelzbeinen ein, als sie sich in die hochlehnigen Sättel schwangen.
    Dann flogen die Kapuzen hoch, die bewimperten Augen öffneten und schlossen sich im grellen Licht. Leise Kommandos und Bewegungen der Fersen dirigierten die Tiere über ein schmales Felsband, das von Sand überweht war. Dann stoben sie mit weit ausholenden Schritten über den schrägen Hang, der den Blicken aus der Talebene verborgen war.
    Hodjaf, der Vogt der Schrunde, wie er an den Lagerfeuern oft genannt wurde, würde abermals reicher und mächtiger werden. Die Skelette seiner Beute säumten die schmalen Straßen in beiden Richtungen der Drei Schwärenden Finger, wie die Felsformation hieß, die, von spärlichen Arvenbäumen umgeben, neben dem Wasserloch sich in den rauen Himmel reckte.
    Als die beiden Reiter den Hohlweg passierten, rief ein dritter Posten von oben: »Was soll ich Hodjaf melden?«
    Urraco lachte dröhnend auf und spürte die Kälte der Felswände auf seinem wettergegerbten Gesicht. Der sandfarbene Umhang flatterte hinter ihm. Urraco grölte nach oben: »Sage ihm, dass wir eine hübsche kleine Karawane gesehen haben. Das wird ihn aus den Armen Ardeas befreien.«
    Der Posten stieß einen trillernden Schrei aus und rannte davon.
    Die Schatten hatten nicht viel Weg zurückgelegt, die Wärme des Tages hatte sich noch nicht ausgebreitet, als etwa ein halbes Hundert Vogelreiter sich sammelte. Hodjaf setzte sich an ihre Spitze. Seine Habichtsaugen musterten seine Truppe. Er grinste mit dünnen Lippen zwischen dem eisgrauen Gestrüpp seines Bartes, als er sah, dass weder die Reitvögel noch ihre Reiter Zeichen von Schlaffheit erkennen ließen.
    *
    Der einzige Mann, der sein Gesicht nicht zum Schutz gegen den Sand und die Sonne verhüllt hatte, war Algajar.
    Er war nicht mehr jung. Fünfzig oder mehr Sommer mochte er hinter sich gebracht haben. Seine Haut war rau und voller Narben, die Form des Gesichts kantig und hart. Die Augen, dunkel und zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, lagen in
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