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Unter dem Georgskreuz

Unter dem Georgskreuz

Titel: Unter dem Georgskreuz
Autoren: Alexander Kent
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Säbel einem wildäugigen Seesoldaten in den Leib, der sein blutiges Bajonett gerade zu einem neuen Stoß ansetzte. Er mochte es nicht glauben. Es klang fern, doch es war keine Täuschung. Jemand schrie Hurrah, und einen Augenblick lang glaubte er, der Amerikaner hätte mehr Männer als erwartet und in Massen hätten sie die
Indomitable
geentert. Dann mußte Tyacke tot sein. Ein lebender Tyacke hätte sie nie an sich vorbeigelassen.
    Avery packte ihn am Arm. »Hören Sie, Sir?« Er zitterte und sprudelte heraus: »Die
Reaper
. Die
Reaper
ist zu uns gestoßen!«
    Die Explosion war so nahe und so gewaltig, daß Bolitho auf die Planken geschleudert wurde. Seinen Säbel hielt nur noch die Schnur um sein Handgelenk. Es hatte sich wie ein sengender Wind angefühlt, Staub und kleine Teilchen wirbelten wie heißer Sand an ihm vorbei. Hände hoben ihn hoch. Allday stützte ihn zwischen den verwirrten und atemlosen Männern, mit dem Rücken ungeschützt dem Gegner preisgegeben.
    Bolitho holte tief Luft, konnte jedoch nicht sprechen – der Schmerz im Auge verhinderte alles.
    »Hilf mir!« bat er.
    Allday schien zu begreifen. Er nahm sein Halstuch ab, wickelte es Bolitho zweimal um den Kopf und bedeckte so das verletzte Auge.
    Es schien wie Taubheit. Männer krochen oder knieten in absoluter Stille neben den Verwundeten oder blickten in die Gesichter Toter.
    Die Seeleute der
Retribution
stierten sie an, verwirrt, schockiert, geschlagen. Ihre Flagge war mit dem zerbrochenen Besan nach unten gekommen, doch sie hatten sich nicht ergeben. Sie hatten nur aufgehört zu kämpfen.
    Die Explosion hatte sich nur auf das Achterdeck beschränkt. Eine Kanone war explodiert. Sie war für den letzten verzweifelten Einsatz nachlässig geladen worden. Oder vielleicht war es ein glimmendes Stück Zunder aus einer von Tyackes Kanonen, die sich ja fast Mündung an Mündung mit dem Gegner berührten. Eine kleine Gruppe amerikanischer Offiziere stand neben dem zerschmetterten Rad zwischen den Rudergängern, die der plötzliche Tod häßlich niedergestreckt hatte.
    Ein Offizier hob seinen Säbel, und sofort waren da Alldays Entermesser und Averys Pistole.
    Bolitho fuhr sich über den Verband seines Auges und war dankbar dafür. »Wo ist Ihr Kommodore?« wollte er wissen. Er starrte auf den gestürzten Mast, in dessen Rigg immer noch Männer wie gefangene Fische im Netz zappelten. Die
Reaper
war jetzt sehr nahe. Die Hochrufe hielten an. Und er wünschte, er könnte sie sehen.
    Der Leutnant beugte sich vor und enthüllte Kopf und Schultern des gefallenen Kommodore.
    Er überreichte mit dem Griff zuerst Avery den Säbel und sagte: »Kommodore Aherne, Sir. Er sprach manchmal von Ihnen.«
    Bolitho starrte in das Gesicht des Toten, das ärgerlich und verzerrt wirkte, erstarrt im Augenblick des Todes. Doch es war das eines Fremden.
    Er sah an ihnen vorbei auf die offene See. Hatte Aherne die Jubelrufe noch gehört und die
Reaper
wiedererkannt?
    Er wandte sich wieder dem Schiff zu. Es war richtig, es war nur gerecht, daß dies die Reaper war – nun ein Zeuge des Sieges und des Wahnsinns.
    Er blickte seine atemlosen, nach Luft schnappenden Männer an. Ihre Wut war verraucht, als sie die Verwundeten und die Sterbenden aus den Trümmern an Deck zogen und mit ihnen redeten, ohne zu merken, daß manche, die ihnen antworteten, Feinde waren.
    Durch den fetten Rauch konnte er Tyacke erkennen, der auf der anderen Seite des Streifens See noch immer an seine Pike gelehnt stand. Der Schiffsarzt verband gerade sein Knie. Tyacke hob eine blutige Hand zum Gruß – des Schiffs? Des Siegers?
    Bolitho bat: »Hilf mir zurück auf die
Indomitable
.« Er konnte nicht lächeln. War es wirklich nur Minuten her, daß er die Männer der
Indomitable
hierhergeführt hatte?
    Allday nahm ihn am Arm und achtete sehr darauf, daß ihnen nichts im Wege lag. Er hatte geahnt, was geschehen war, und war sich jetzt sicher. Er hatte zuviel erlebt, um erschreckt oder niedergeschlagen zu sein: Auf seine eigene Art war er zufrieden – trotz der abstoßenden Häßlichkeit des Todes um ihn herum.
    Wieder einmal waren sie davongekommen. Und immer noch waren sie zusammen. Das war mehr als genug.
    Bolitho zögerte und sah sich auf den böse mitgenommenen Schiffen um. Ein paar Männer hatten beim Vorübergehen seine Uniform berührt. Einige hatten nur gegrinst und seinen Namen genannt. Einige hatten auch ganz offen geweint, vor Scham vielleicht, bei so vielen Toten am Leben geblieben zu sein.
    Jetzt
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