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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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und folgte ihr aus dem Zug. Vor dem Bahnhof schauten sie sich an.
    »Was nun?« fragte Oma.
    »Ich wollte trampen, Autos anhalten«, meinte Jan zögernd,
    »Gut, trampen wir!«
    Sie stellten sich am Rand der breiten Eberbacher Straße auf. Die ersten drei Autos, die Jan anzuhalten versuchte, fuhren vorbei.
    »Laß mich mal!« sagte Oma. Als ein Lastwagen daherkam, stellte sie sich auf die Straße und winkte mit dem Regenschirm. Auf dem Wagen stand eine Kuh. Der Fahrer hielt an und lehnte sich aus dem Fenster.
    »Na, alte Dame, wohin soll’s denn gehen?«
    »Nach Hamburg«, sagte Oma. »Bitte, nehmen Sie uns mit!«
    »Meine Kuh will aber nicht nach Hamburg. Sie will nach Heidenfeld, ist ‘ne andere Richtung. Tut mir leid.« Der Fahrer lachte freundlich, tippte an seine Mütze und fuhr davon.

    Eine halbe Stunde warteten sie vergebens.
    »Wenn kein Auto kommt, müssen wir eben laufen«, sagte Oma forsch.
    Sie gingen los, aber nach ein paar Schritten hielt Oma 1 an. »Gehen wir auch in der richtigen Richtung?«
    Jan hob unsicher die Schultern.
    »Wo liegt Hamburg?« fragte Oma.
    »Im — im Norden«, stotterte Jan.
    »Nordost oder Nordwest? Ich war leider in der Schule in Erdkunde recht schlecht.«
    »Ich leider auch«, sagte Jan kleinlaut.
    Paulchen, der sich von den Schrecken der Bahnfahrt erholt hatte, schüttelte sein Gefieder und rief: »Nordwest!«
    »Paulchen meint Nordwest«, sagte Oma. »Aber wo ist Nordwest?«
    Jan fand, er könne sich nicht noch mehr blamieren und zeigte geradeaus.
    Vergnügt schulterte Oma den Regenschirm und hängte die Handtasche an den Griff. In der anderen Hand trug sie den Käfig mit Paulchen. Sie marschierte kräftig voran und sang: »Das Wandern ist des Müllers Lust.«
    Jan versuchte mitzusingen, kam aber schnell außer Atem. Seine Sonntagsschuhe drückten, und Omas Koffer schien immer schwerer zu werden.
    »Was hast du in dem Koffer?« fragte er.
    Oma schmetterte gerade: »...das Wahandern, das Wahandern!« Sie brach ab und fragte besorgt: »Wird er dir etwa zu schwer? Es sind nur ein paar Kleinigkeiten drin. Ein Nachthemd, die Zahnbürste, Seife, ein Kochbuch, Vogelfutter und die Rollschuhe. Ja, und eine Bluse und etwas Wäsche zum Wechseln, Hausschuhe, Abführpillen und meine Patiencekarten. Das ist alles. Soll ich ihn lieber tragen?«
    »Nein, nein, er ist ganz leicht!« versicherte Jan hastig.

    »Und was hast du eingepackt?«
    »Die Indianerhaube, die Spritzpistole, ein Karl-May-Buch, ein Mickymausheft, ein Paket Kaugummi, eine Wäscheleine...« Jan schielte ängstlich zu Oma hin. »Ich brauche doch ein Lasso.«
    »Natürlich brauchst du ein Lasso. Und wie ist es mit Seife und Zahnbürste?«
    »Ach, die hab’ ich vergessen.«
    Oma wiegte den Kopf. »So etwas kann passieren. Meine Seife kann ich dir borgen, und die Indianer putzen sich die Zähne mit kleinen Zweigen, wie ich in einem Buch gelesen habe.«
    Jan war erstaunt, daß Oma etwas von den Indianern wußte. Seine Achtung vor ihr stieg gewaltig, und er war nun richtig froh, daß sie mit nach Amerika kommen wollte. Unterdessen war es recht heiß geworden. Jan schwitzte. Sein Arm wurde lahm, und er merkte, daß sich an seinem rechten Hacken eine Blase bildete. Doch Oma wanderte vergnügt und frisch voran. Jan wollte nicht als erster um eine Ruhepause bitten.
    »Wie steht es mit deinem Englisch?« fragte Oma. »In Amerika werden wir englisch sprechen müssen. Ich muß gestehen, daß ich in der Schule auch in Englisch keine große Leuchte war. Und du?«
    »Es geht«, murmelte Jan.
    »Was heißt zum Beispiel: Bitte, ein Meter Gummiband?« fragte Oma.
    »Please...«, fing Jan an und schwieg dann. »Please wußte ich auch«, sagte Oma, »aber weiter?«
    »Please...«, wiederholte Jan. »Ach, warum willst du denn so was wissen?«
    »Na hör mal, das ist wichtig. Wenn mir nun ein Gummiband reißt und irgendein Kleidungsstück rutscht, dann muß ich mir doch neues Gummiband kaufen. Oder soll ich es etwa rutschen lassen?«
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Oma schien ein bißchen verstimmt zu sein, und Jan wurde immer müder. Außerdem hatte er Hunger. Aber wo sollte man hier etwas zu essen bekommen?
    Auf einmal sagte Oma: »Nun wollen wir zu Mittag essen.«
    »Wo hast du denn etwas zu essen?« fragte Jan erstaunt.
    »Hier drin!« Oma klopfte auf ihre Handtasche.
    Jan schöpfte wieder Mut. Sicher würde Oma etwas Gutes in der Tasche haben, vielleicht Kuchen oder belegte Brötchen oder sogar Kartoffelsalat. Ihm
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