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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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sie zurückkam, »sie hat die Masern.«
    »Hat sie Flecken?« fragte die Mutter.
    Ingeborg zuckte die Achseln. »Sie ließ mich nicht ans Bett. Sie sagte, wir sollten sie in Ruhe lassen und ihr recht viel zu essen ‘raufschicken, aber keinen Streuselkuchen.«
    »Recht viel zu essen, dann kann es nicht so schlimm sein«, meinte die Mutter.
    Der Vater schüttelte den Kopf. »Die Masern! Oma wird auch niemals erwachsen.«
    Niemand bekam Oma zu sehen. In einen Korb, den sie an einer Schnur vom Boden herabließ, legte ihr Ingeborg das Essen. Auf ihre besorgten Fragen, ob sie einen Arzt holen oder ihr das Bett machen solle, erklärte Oma energisch und gar nicht schwach: »Laßt mich in Ruhe! In zehn Tagen bin ich wieder gesund.«
    Die Zeit verging. Die Masernkinder waren aufgestanden. Zum erstenmal versammelte sich die ganze Familie wieder am Frühstückstisch, nur Oma fehlte. Der Vater köpfte gerade sein Ei und gab damit das Zeichen zum Beginn des Frühstücks, da ging die Tür auf. Oma erschien, gesund und munter, in ihrem schwarzen Kleid, das Samtband um den Hals.
    »Guten Morgen!« sagte sie strahlend und kam herein. Hinter ihr her stolperte piepsend .eine Schar winziger, wolliger Küken.

    Peter und Brigitte sprangen mit einem Jubelschrei auf.
    »Wo hast du die her?« fragte die Mutter.
    »Ich habe sie ausgebrütet!« sagte Oma stolz.
    »Ausgebrütet? Dann hast du also gar nicht die Masern gehabt?«
    Oma schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur, daß ihr mich in Ruhe laßt. Ich hatte ein Körbchen mit Watte gepolstert, die Eier hineingelegt und das Körbchen zu mir ins Bett genommen, wo es ja schön warm ist. Da sind die Küken dann ausgeschlüpft.«
    Gelassen setzte sie sich an den Tisch und strich sich ein Brötchen mit Butter und Honig.

Die Auswanderung

    »Wie heißen die deutschen Nebenflüsse der Donau?« fragte Ingeborg.
    Jan leierte gelangweilt: »Iller, Lech, Isar, Inn fließen rechts zur Donau hin, lala, Nab und Regen fließen ihr entgegen.«
    »Was ist lala?«
    Jan gähnte. »Ich hab’ es vergessen.«
    »Du mußt es aber wissen! Wenn dich morgen die Lehrerin fragt, und du weißt es nicht, kriegst du wieder eine Fünf. Nimm den Atlas vor und such dir die Flüsse heraus.«
    Mißmutig zog Jan den Atlas aus seiner Schulmappe. Als Ingeborg zurückkam, studierte er mit glänzenden Augen eine Karte.
    »Hast du sie gefunden?«
    »Ja, hier ist Oklahoma, und hier sind die Rocky Mountains, da sind die großen Reservate.«
    »Was für Reservate? Ich denke, du suchst die Nebenflüsse der Donau.«
    »Ach, die Donau ist mir schnuppe. Ich such’ die Gegenden, wo die Indianer in Amerika wohnen. Guck mal, hier!«
    Ingeborg schob den Atlas beiseite und sagte zornig: »Und mir sind deine Indianer schnuppe und deiner Lehrerin wahrscheinlich auch. Wenn du weiter so faul bist und nichts lernst, bleibst du noch einmal sitzen.«
    Jan traten die Tränen in die Augen. »Wozu soll ich den ganzen Quatsch lernen, wenn ich doch nach Amerika gehen und Cowboy werden will?« heulte er.
    »Feiner Cowboy, der wie ein Mädchen weint!« lachte Ingeborg spöttisch und verließ den Bruder. Jan trocknete sich die Tränen ab. Darin hatte sie recht, daß ein Cowboy nicht heulen sollte, aber sie hatte ganz und gar unrecht darin, daß ein Cowboy die Nebenflüsse der Donau kennen müßte. Entschlossen klappte er den Atlas zu, nahm ein Buch unter den Arm, auf dem »Als Schiffsjunge nach Amerika« stand, und verzog sich in den Ziegenstall, wo ihn bis zum Abendmelken sicher niemand stören würde. Hier saß er bald auf der Futterraufe und las: »Plötzlich sahen sie Land, und es war Amerika. Dem kleinen Schiffsjungen klopfte das Herz. Nun würde er das Land sehen, in dem die Indianer und Cowboys lebten, in dem es Wolkenkratzer und die Niagarafälle gab.«
    Jan blickte vom Buch auf und betrachtete nachdenklich die Ziege, die sich an seinen Beinen rieb. Wenn er doch dieser Schiffsjunge wäre! Aber warum sollte er nicht auch ein Schiffsjunge werden?

    Als er am Sonnabendnachmittag wieder einmal mit Frieder zusammen auf der Teppichstange saß, flüsterte er: »Du, ich hab’ ein Geheimnis. Wenn du es keinem weitersagst, erzähl’ ich es dir.«
    Frieder spuckte seinen Kaugummi aus und steckte einen frischen in den Mund. »Was ist es?« fragte er ziemlich gleichgültig.
    Jan zögerte. Aber weil er zu gern Frieders verblüfftes Gesicht sehen wollte, antwortete er: »Ich wandere aus.«
    »Was?« Frieder hörte einen Augenblick auf zu kauen.
    »Ich gehe nach
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