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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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Hause zum Mittagessen, denn es war spät geworden.
    Beim Essen sagte Karolines Mutter: »Heute kommt Omi!«
    Karoline, die sonst ihre Großmutter recht gern mochte, runzelte nur die Stirn.
    Um vier Uhr kam Omi mit dem Omnibus aus der nächsten Stadt. Sie trug ein kurzes fliederfarbenes Sommerkleid und einen weißen Hut.
    »Omi, du wirst ja immer jünger!« rief die Mutter, als sie sich umarmten.
    Beim Kaffeetrinken war Karoline recht still.
    »Was hat das Kind?« fragte Omi. »Bekommen ihm die großen Ferien nicht?«
    Da kochte Karoline über. »Omi, du malst dir ja den Mund rot und läßt dir die Haare färben!«
    Omi errötete. »Ja, Kind, ich will doch möglichst lange jung aussehen.«
    »Kannst du auch Rollschuh laufen?« fragte Karoline.
    Omi verschluckte sich fast an ihrem Kuchen. »Aber Kind, Rollschuh laufen, nein, natürlich nicht!«
    »Na, siehst du!« Karoline sprang auf, lief hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
    »Karoline!« rief der Vater zornig hinter ihr her, aber sie hörte es nicht mehr. Sie saß im Hühnerstall und heulte, umgeben von dem gackernden Federvieh, das sie unter seinen Plastikbrillen hervor anschielte.

Masern

    Die ersten Sonnenstrahlen, die ins Kinderzimmer hineinschienen, weckten Brigitte. Sie gähnte und wollte sich auf die andere Seite drehen, um weiterzuschlafen, da fiel ihr etwas ein. Wenn sie jetzt aufstand, konnte sie Oma noch beim Anziehen erwischen. Sie sah Oma zu gern beim Anziehen zu. Mit beiden Beinen sprang sie aus dem Bett. Peter regte sich in seinem Gitterbettchen. Sie wollte sich auf Zehenspitzen hinausschleichen, aber schon saß er kerzengerade da, sah sie aus verschlafenen Augen an und fragte: »Wo gehst du hin?«
    »Zu Oma.«
    »Nimm mich mit!«
    »Nein, du sollst noch schlafen.«
    »Ich will nicht schlafen, ich will zu Oma!«
    Sie half ihm, das Gitter zu überklettern, und Hand in Hand schlichen sie durch das schlafende Haus. Kurz darauf saßen sie auf Omas Fensterbrett. Sie hatten Glück; Oma war noch beim Anziehen. Von ihrer üblichen Haarpracht war nichts zu sehen. Rosa schimmerte die Kopfhaut durch die dünnen, weißen Strähnen. Oma ordnete den Kragen ihres Kleides und band das schwarze Samtband um den Hals. Dann zog sie ihre Schuhe an. Gelenkig stellte sie den rechten Fuß auf die Bank und schnürte den Schuh zu.
    »Oma, wie bekommt man Masern?« fragte Brigitte. »Ich möchte so gerne Masern haben!«
    Oma schnürte den linken Schuh zu. »Masern sind eine Krankheit. Warum willst du krank werden?«
    »Karoline hat Masern. Ihr Fenster ist mit einer Decke verhängt, und sie kriegt Streuselkuchen und Coca-Cola und Mickymaushefte, so viel sie will.«
    »Wo ist meine Brille?« fragte Oma.
    »Vielleicht in der Küche?« meinte Brigitte.
    Oma schüttelte nachdenklich den Kopf.
    »Im Bett?« Peter ratschte vom Fensterbrett und begann die Leiter zum Boden hinaufzuklettern.
    Oma hielt ihn an einem Bein fest. »Bleib hier! Sie ist im Nähkasten.«
    Wirklich, als Brigitte den Kasten öffnete, funkelten sie Omas Brillengläser zwischen Stecknadeln und Nähgarnröllchen an.
    Oma setzte die Brille auf und fragte: »Woher weißt du, daß Karoline Kuchen und Coca-Cola bekommen hat?«

    »Ich habe an ihr Fenster geklopft«, antwortete Brigitte, »und sie hat die Decke weggezogen und das Fenster aufgemacht. Sie freute sich so, daß ich kam, weil sie sich langweilte, und sie hat mir alles gezeigt. Ins Zimmer durfte ich ja nicht wegen der Ansteckung.«
    Oma nickte verständnisvoll und fing an, sich die Haare zu kämmen.
    »Und von dem Streuselkuchen hat sie mich abbeißen lassen. Wir haben zusammen ein großes Stück gegessen, immer sie einen Happen, ich einen Happen. Und sie hat mir auch ein Stück für Peter mitgegeben. Hat gut geschmeckt, nicht wahr, Peter?«
    Peter nickte und rieb sich sein Bäuchlein.
    »Oma«, quengelte Brigitte, »wie kriegt man die Masern? Ich möchte sie zu gerne haben!«
    »Warte nur, Liebling«, antwortete Oma, »du wirst sie bald bekommen.«
    »Hurra!« Brigitte hopste von der Fensterbank. »Warm, Oma?«
    Aber Oma war nicht mehr bei der Sache. Sie sah sich suchend im Zimmer um. »Wo ist mein Zopf?«
    Die Kinder wußten, daß Oma einen falschen Zopf besaß, und hatten oft mit ihm gespielt. Aber wo war er nun? Brigitte sah im Nähkorb nach, und Peter kletterte jetzt doch auf den Boden, wo Omas Bett stand und zwischen Dachbalken eine Hängematte für ihre Mittagsruhe ausgespannt war. Man hörte ihn oben rumoren. Oma suchte unter dem Lehnstuhl und
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