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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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unter der Bank. Nichts. Peter kam mit dem Kater Fridolin auf dem Arm wieder herunter. Das brachte Brigitte auf den Gedanken, sich nach dem Wellensittich Paulchen umzusehen. Der schien noch in seinem Käfig zu schlafen.
    »Oma«, rief sie, »Paulchen hat sich aus deinem Zopf ein Nest gebaut!«
    Oma trat näher. Tatsächlich, in einer Ecke des Käfigs lag Omas Zopf zu einem runden kleinen Nest zusammengerollt, und darin hockte Paulchen.

    »Wie gemütlich er es hat!« sagte Oma. »Aber leider, mein Kleiner, muß ich dir den Zopf wegnehmen. Ich brauche ihn selber.«
    »Och, Oma«, bat Brigitte, »laß ihm doch den Zopf!«
    »Hm.« Oma betrachtete sich im Spiegel. »Ein bißchen kahl bin ich ja, außerdem zieht’s. Ach was, ich setze eben den Hut auf.« Sie nahm einen lila Strohhut mit einer weißen Stoffblume von einem Haken an der Wand und stülpte ihn auf den Kopf.
    »Aber nun kommt! Ich habe Frühstückshunger.«

    In den Ferien sah Vater Pieselang es gern, wenn, sich seine ganze Familie am Frühstückstisch um ihn scharte. Unwillig runzelte er die Stirn, weil der Stuhl seines sechzehnjährigen Sohnes Heiner neben ihm leer war. Dann musterte er seine anderen Kinder, die achtzehnjährige Ingeborg, den zwölfjährigen Jan, die zehnjährige Brigitte und den dreijährigen Peter. Jan hatte schwarze Fingernägel, Brigitte hingen die Haare unordentlich ins Gesicht. Er schickte die beiden ins Badezimmer. Als sie zurückkamen, trat gleichzeitig mit ihnen Heiner ein.
    »Mein lieber Sohn«, sagte Vater Pieselang, »ich habe dir erlaubt, einmal in der Woche zur Tanzstunde in die Stadt zu fahren. Wenn ich dir eine solche Freude mache, könntest du mir auch die Freude machen, pünktlich am Frühstückstisch zu erscheinen.«
    Heiner, den jetzt manchmal der Hafer stach, wagte zu widersprechen: »Man muß in den Ferien doch mal ausschlafen können!«
    Ein Äderchen an Lehrer Pieselangs Stirn schwoll an. Ein bedrohliches Zeichen! Mutter legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. Er strafte seinen Sohn mit schweigender Verachtung und sprach das Tischgebet. Gerade begann er, sein Ei zu löffeln, da legte Brigitte den Kopf auf den Tisch und brach in lautes Schluchzen aus. »Was ist denn nun schon wieder los?« brauste der Vater auf.
    Die Mutter versuchte, das weinende Kind zu beruhigen.
    »Sie hat die Masern«, sagte Oma, ohne aufzusehen.
    »Unsinn, die Masern, woher willst du das wissen?« rief der Vater. »Und warum hast du beim Frühstück den Hut auf?«
    »Ich weiß manches, was du nicht weißt, und den Hut hab’ ich auf, weil mir der Kopf friert«, entgegnete Oma spitz.
    Jetzt war es um Vater Pieselangs Selbstbeherrschung leider geschehen. Er ließ sein Ei halb aufgegessen stehen, warf die Serviette auf den Tisch, stürmte aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.

    Kurze Zeit danach traf die Mutter Oma mit den Rollschuhen in der Hand.
    »Wo willst du hin?«
    »Ich will im Dorf einkaufen.«
    An den Fingern zählte Oma auf: »Zwei Flaschen Coca-Cola, ein Mickymausheft, Zucker, Mehl und Butter zum Streuselkuchen. Daß ich nur nichts vergesse!«
    »Kannst du das Baby mitnehmen?« fragte die vielbeschäftigte Mutter.
    Bald darauf lief Oma auf ihren Rollschuhen über die asphaltierte Straße und schob den Kinderwagen vor sich her. Die Einkaufstasche und ihren Regenschirm hatte sie an die Lenkstange gehängt. Als sie im Dorf ankam, saß der lila Strohhut ein wenig schief, aber niemand wunderte sich darüber. Man kannte ja Oma Pieselang.

    Am Nachmittag backte Oma Streuselkuchen. Tags darauf, als das Fieber gesunken und Brigitte über und über rot gefleckt war, durfte sie ihn essen und Coca-Cola trinken und das Mickymausheft angucken. Am schönsten aber war es, wenn Oma ihr aus »Dr. Dolittle« vorlas. Am nächsten Tag legte sich Peter mit Masern ins Bett. Oma backte wieder Streuselkuchen und las ihm Grimms Märchen vor. Zwei Tage später folgte Jan, und Oma mußte noch einmal Streuselkuchen backen und diesmal Karl May vorlesen.
    Nach acht Tagen war Oma ganz heiser und erschöpft. Am neunten Tag erschien sie nicht zum Frühstück.
    Es war ein trauriges Frühstück. Vater, Mutter, Ingeborg und Heiner saßen allein um den großen Tisch. Ingeborg erzählte mit Tränen in den Augen, daß der Fuchs die große bunte Henne geholt hatte, die gerade beim Brüten war.
    »Und die Eier sind auch verschwunden«, sagte Mutter ärgerlich.
    »Wo ist denn Oma?« fragte der Lehrer.
    Ingeborg ging nachsehen. »Oma ist krank«, berichtete sie, als
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