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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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lief das Wasser im Mund zusammen.
    Oma sah sich nach einem schattigen Plätzchen um. Inmitten einer Weide, auf der zwei Kühe und ein Stier grasten, stand auf einem kleinen Hügel ein Baum. Oma fing an, durch den Stacheldraht zu klettern.
    »Aber der Stier!« wandte Jan ein.
    »Ach, wenn wir ihn in Ruhe lassen, wird er uns auch in Ruhe lassen«, meinte Oma und stapfte über die Wiese auf den Hügel zu. Sie hatte recht; der Stier und die Kühe kümmerten sich nicht um sie. Sie ließen sich im Schatten nieder. Oma holte aus ihrer Handtasche ein Tütchen mit Vogelfutter und füllte Paulchens Futternapf. Dann kramte sie eine Serviette hervor und legte sie sich über die Knie. Danach zog sie eine Thermosflasche und ein kleines Päckchen aus der Tasche. Jan sah ihr gierig zu. Sein Magen knurrte jetzt fürchterlich. Sie packte ein paar Scheiben Zwieback aus.
    »Was sagst du nun?« fragte sie stolz. »Das ist richtiger, echter Schiffszwieback, wie wir ihn zu essen bekommen werden, wenn unser Schiff in Seenot gerät und wochenlang steuerlos auf dem Meer treibt. Wenn alle Vorräte aufgegessen sind, gibt es immer nur noch Schiffszwieback. Es ist gut, wenn wir uns an den Geschmack gewöhnen.«
    Jan war etwas enttäuscht. Aber ein Schiffsjunge durfte nicht wählerisch sein. Er knabberte mühsam. Der Zwieback war sehr hart.
    »Schmeckt ein bißchen nach Mottenkugeln.«
    Oma nickte. »Ja, er lag ein paar Jahre in der Schublade neben den Mottenkugeln, aber das ist gerade richtig. Schiffszwieback schmeckt immer nach irgendetwas anderem, nach Teer oder Salzwasser oder Schuhkrem.«
    »Was hast du in der Thermosflasche?« fragte Jan.
    »Wasser«, antwortete Oma.
    Jan trank etwas davon. Es war lauwarm und schmeckte nicht sehr gut. Nachdem er Hunger und Durst notdürftig gestillt hatte, legte er sich ins Gras. Oma knabberte mit Behagen ihren Zwieback und nahm dazu einen Schluck aus der Flasche. Dann zog sie ihr Strickzeug hervor und begann zu stricken. Beim Klappern der Nadeln las Jan in seinem Mickymausheft. Es war doch nett, daß er hier nicht ganz allein rasten mußte.
    Als er in seiner Tasche zu kramen begann, borgte sich Oma von ihm das Mickymausheft, legte es auf ihre Knie und las, indem sie, ohne hinzugucken, weiterstrickte. Sie war bald ganz vertieft und merkte daher nicht, daß Jan die Wäscheleine hervorholte. Dort hinten graste der Stier.
    In Amerika würde Jan manchen wilden Stier mit dem Lasso fangen müssen. Wie gut, daß er es hier schon üben konnte! Er knüpfte eine Schlinge und schlenderte mit der Leine zu dem Stier hin. Das Tier beachtete ihn nicht. Jan warf die Leine etwas von hinten, damit ihn der Stier nicht sehen konnte. Er wollte die Hörner erreichen und den Kopf des Tieres mit einem Ruck nach hinten ziehen. Aber er hatte zu kurz geworfen und traf das Hinterteil. Der Stier drehte sich nicht einmal um und schlug nur mit dem Schwanz, als hätte ihn eine Fliege belästigt. Nun versuchte Jan es von der Seite. Der Stier wandte den Kopf und sah ihn mit seinen großen Augen finster an. Jan warf das Lasso. Es erreichte auch ein Horn, glitt dann aber ab und traf hart die Schnauze des Tieres. Der Stier reckte sich, und brüllte, daß es Jan durch Mark und Bein ging. »Oma«, rief er, »Oma!« und rannte, was seine Beine hergeben konnten, auf den Baum zu, wo Oma friedlich strickte. Hinter sich hörte er es stampfen und schnauben. Oma sah die beiden kommen. Sie warf Strickzeug und Mickymausheft beiseite und griff nach dem Regenschirm. Als Jan bei ihr anlangte, spannte sie den Schirm auf und hielt ihn dem Stier entgegen.
    »Husch, husch, geh weg, du Tier!« rief sie.
    Der Stier blieb verblüfft stehen. Sobald er sich rührte, schloß Oma den Schirm und öffnete ihn wieder.
    Der Stier starrte das seltsame Spiel verwirrt und etwas ängstlich an.
    »Nimm das Gepäck!« flüsterte Oma.
    Jan ergriff Paulchen, Omas Koffer und Tasche und seinen Beutel; und während Oma den Regenschirm in Richtung des Stieres immerfort schloß und öffnete, traten sie den Rückzug an.

    Sie keuchten beide vor Schreck und Anstrengung, als sie endlich durch den Zaun schlüpften. Omas falscher Zopf blieb dabei im Stacheldraht hängen und wehte nun wie eine kleine graue Fahne im Wind. Das löste die Erstarrung des Stieres. Mit wütendem Gebrüll schoß er auf den Zaun zu. Als er den Weg versperrt fand, rannte er zum Baum zurück und stampfte Omas Strickzeug und das Mickymausheft, die dort liegengeblieben waren, in das Erdreich hinein. Jan und Oma sahen
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