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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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Zufahrt glitzern im ersten Stau des Tages die Autos in der Sonne, und du fühlst: Jetzt beginnt das Leben.
    Alle paar Wochen komme ich noch nach London. Ich sage dann: «Ich fahre nach Hause.»

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Eins Die Entscheidung
    Ich schlug, ohne zu überlegen, mit der Faust zu. Es gab einen explosionsartigen Knall, und der Schreck darüber, was ich angerichtet hatte, tat mir gut. Ich war augenblicklich ein wenig ruhiger. Um mich herum lag, in hundert Teile verstreut, die Glühbirne unserer Flurlampe.
    Über zwei Monate hatte ich still und rational versucht, zu entscheiden, ob ich Arsenals Ruf nach London folgen sollte oder nicht. Ich weiß nicht, das wievielte Mal ich mit meinen Eltern abends am Wohnzimmertisch saß und die Argumente abwog, als das Gefühl, überfordert zu sein, in unhaltbare Wut umschlug. «Wisst ihr was, mir ist das alles zu viel!», rief ich, sprang vom Tisch auf und wollte in mein Zimmer stürmen. Die Lampe war irgendwie im Weg.
    Nie zuvor und nie wieder danach hatte ich solch einen gewalttätigen Ausbruch. Ich war 15, ich wollte es doch nur allen recht machen. Es schien mir, dass ich nur alles falsch machen konnte. Ich wäre doch doof, wenn ich ein Angebot von Arsenal ausschlug. Ich wäre doch verrückt, wenn ich in meinem Alter allein die Heimat verließ, wo ich glücklich war, wo ich mit Schalke einen guten Klub hatte.
    Es half wenig, dass alle Welt sich bemüßigt fühlte, ihre Meinung zu mir und Arsenal kundzutun. Heute ist es alltäglich geworden, dass deutsche Jugendliche mit 15 oder 16 nach England ziehen, um ihre Ausbildung bei den Klubs der Premier League zu absolvieren. Ich aber war der Erste. Es war 1999, in Deutschland gingen talentierte Fußballer zur Schule oder machten eine Lehre und trainierten dann abends in ihrer Freizeit in den Jugendteams der Bundesligavereine drei-, viermal die Woche. Geld wurde Jugendspielern nur verstohlen bezahlt, 630 D-Mark im Monat, exakt unter der Steuergrenze. Fußball war doch nur die schönste Nebensache der Welt.
    In England dagegen zog Arsenal als erster Klub die Konsequenz daraus, dass Fußball das globalisierte Spiel geworden war: Gezielt suchten sie in der ganzen Welt nach den besten Jugendlichen und boten ihnen eine Ausbildung mit bis zu sieben Trainingseinheiten die Woche. Einigen wie mir garantierten sie auch einen anschließenden Profivertrag, sobald sie 17 wären.
    Das deutsche Selbstwertgefühl war verletzt: Was glaubten diese Engländer – dass sie unseren Kindern besser das Fußballspielen beibringen könnten als wir? Wer war denn dreimal Weltmeister?! Und dann kam noch das Geld ins Spiel, Geld für Teenager! Von «Kinderhandel» sprach der Jugendsekretär des Deutschen Fußball-Bundes, als Arsenals Werben um mich bekannt wurde. «Ein unmoralisches Angebot» nannte es der Jugendkoordinator meines Klubs Schalke 04. Wenn er ein anständiger Junge ist, bleibt er in Deutschland, bleibt er daheim, hörte ich von allen Seiten. Nur die Jugendlichen und Kinder sagten: Arsenal, echt cool.
    Unser Telefon klingelte. Die
Bild
-Zeitung, der
Spiegel
, die
Süddeutsche Zeitung
. Wir gingen nicht mehr ran. Aber das Telefon klingelte weiter, der Klingelton klang für mich schon bald wie eine Sirene.
    Das
Deutsche Sport-Fernsehen
überfiel mich nach einem Jugendspiel in Schalke. Ich wollte kein Interview geben. Das Mikrophon stand wie eine Pistole vor meiner Nase. Die Kamera lief schon.
    «Der Medienrummel muss ganz schön hart für dich sein, du bist ja erst 15», sagte der Reporter, scheinbar verständnisvoll.
    «Ja, es ist schon viel. Es ist nicht einfach, damit zurechtzukommen.»
    In den nächsten Tagen strahlten sie den Bericht über mich aus. Moritz Volz – ein 15-jähriger Junge – habe von Arsenal unglaublich viel Geld angeboten bekommen, sagte die Reporterstimme. Unmittelbar daran anschließend hatten sie mein Zitat geschnitten: «Ja, es ist schon viel. Es ist nicht einfach, damit zurechtzukommen.»
    Günther Jauch lud meinen Vater und mich in seine Talkshow ein. Da war ich vermutlich genauso eitel wie die meisten: Günther Jauch sagt man nicht ab. Ich saß in meinem grauen Anzug von der Schulfeier neben meinem Vater, und er redete die meiste Zeit für mich. So wie es wohl bei den meisten 15-Jährigen gewesen wäre. In die gängige Stimmung allerdings passte das Bild, das wir abgaben, perfekt: Der Vater verkauft ihn!
    Heute hätte ein Jugendlicher in meiner Situation einen professionellen Fußballagenten an seiner Seite.
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