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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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gingen wir in den McDonald’s.
    Ich hörte zu, wenn die anderen an der Schule von ihren Experimenten mit Alkohol, Zigaretten und Mädchen erzählten. Aber ich spürte keine Sehnsucht, zu ihnen zu gehören. Unbewusst wollte ich so sein, wie mich meine Eltern gerne hatten, umso mehr, als ich merkte, dass es bei dem blonden Mädchen aus dem Nachbardorf gut ankam, höflich und fleißig zu sein.
    Sie hieß Anneke.
    Ich fand, sie war anders. Reifer, intelligenter.
    Morgens kam sie mit dem Schulbus aus Alchen meist ein wenig früher an als ich. Vom Busparkplatz ging es den Berg zur Schule hinauf. Ihre orange Jacke leuchtete aus der Menge heraus. Ich bin ihr, so schnell ich konnte, hinterhergesprintet, bremste kurz hinter ihr und schlenderte dann die letzten Meter scheinbar ganz entspannt zu ihr.
    «Hallo Moritz, du schon hier? Ich hatte euren Bus unten ja noch gar nicht gesehen.»
    «Ich bin zufällig genau nach dir angekommen.»
    «Ach so.»
    «Na ja, vielleicht sehen wir uns ja noch in der Pause.»
    «Ja, vielleicht.»
    Zufälligerweise sahen wir uns immer in der Pause.
     
    Als ich mit 15 in die deutsche Jugendnationalelf und dort schon wieder zum Kapitän berufen wurde, begann sogar ich zu glauben, dass ich vielleicht doch nicht so schlecht Fußball spielte. Wir spielten gegen Frankreich, Dänemark, Schweden. Beim Spiel Frankreich gegen Deutschland wollte der Späher des englischen Meisters und Pokalsiegers Arsenal einige französische Talente beobachten, wie ich später erfuhr. Davon, dass er anschließend beschloss, sich kurzfristig auch die Spiele der deutschen Jugendnationalelf in Dänemark und Schweden anzuschauen, bekam ich nichts mit.
    Ich dachte damals doch, ich hätte gerade schon die schwierigste Entscheidung bewältigt. Ich war unmittelbar vor jenem ersten Länderspiel gegen Frankreich im Sommer 1998 zu Schalke gewechselt. Es sei höchste Zeit, dass ich in der Jugendelf eines Bundesligavereins trainiere, hatte mir der Bundestrainer empfohlen, sonst liefe ich Gefahr zu stagnieren. Die Wahl lief auf Borussia Dortmund oder Schalke hinaus. Dortmund lud mich als Zuschauer zu einem Champions-League-Spiel seiner Profis gegen Galatasaray Istanbul ein. Sie führten mich durch ihr Jugendinternat, wo den Kindern sogar ihre Zimmer aufgeräumt wurden. Schalke lud mich zum Schnitzelessen in eine Kneipe ein, und der Trainer Manni Dubski sagte: «Was zählt, ist dat da», und klopfte auf sein Herz. In Schalke spielte außerdem mein Freund aus der Jugendnationalelf Benny Wingerter, der nur mit drei Menschen in einem Raum schlafen konnte: seiner Freundin, seiner Mutter und mir. Dabei brauchte er uns nicht, um ihn in den Schlaf zu wiegen, sondern um den Fernseher auszuschalten, ohne den er nicht einschlafen konnte. Während Dortmund anbot, dass ich in ihr Fußballinternat ziehen könnte, schlug Schalke vor, dass ich noch ein Jahr in Bürbach wohnen bleiben, dort den Realschulabschluss machen und mich mein Vater währenddessen zweimal die Woche die 130 Kilometer zum Training fahren würde. Nach einem Jahr wäre auch ihr Jugendheim errichtet, und ich könnte dort als erster Bewohner einziehen.
    Schalke oder Dortmund, schon diese Entscheidung war mir sehr schwergefallen. Kaum hatte ich sie endlich getroffen, sagte mein Vater in die Dunkelheit einer Novembernacht auf der A 45 von Gelsenkirchen nach Siegen, da habe so ein Mann von den Engländern angerufen.
     
    Das Erste, was ich in London verstand, war, dass es Engländer bunt mögen. Das Zimmer im Sopwell House Hotel, wo Arsenal meine Eltern und mich für einige Tage untergebracht hatte, kombinierte die komplette Farbpalette sowie gemusterte Teppiche zu geblümten Vorhängen und gestreiften, mit Rüschen überbordend besetzten Kissen. Auch der Duft im Hotelrestaurant war neu. Es roch nach Essen, gemischt mit Chlor und feuchtem Teppich.
    Ansonsten verstand ich wenig.
    Ich hatte angenommen, ich könnte Englisch. Nun wusste ich es besser. Was ich leidlich beherrschte, war eine Sprache namens Schulenglisch, die offenbar wenig damit zu tun hatte, was die Menschen in Großbritannien sprachen. Ich gewöhnte mir schnell an, auf alles, was mir die Engländer sagten und ich nicht verstand, mit einem flüchtigen «Yes, yes» zu antworten. Nur gelegentlich variierte ich meine Antwort mit einem «Oh yeah». Vermutlich antwortete ich auch auf Fragen wie «Welche Rückennummer hast du bei Schalke?» mit «Yes, yes».
    Arsenal hatte uns für ein paar Tage nach London eingeladen, damit ich mir
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