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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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Mein Vater und ich dagegen nahmen nur meinen kleinen Bruder mit zu den Gesprächen mit Schalkes Manager Rudi Assauer. Damit Konni das auch mal erlebte. Als mein Vater irgendetwas von den Spielern der Schalker Profielf erzählte, überkam mich neben ihm ein Gefühl, das wohl fast jeder als ständigen Begleiter aus der Pubertät kennt: Oh Gott, war mein Vater peinlich. Er verwechselte vor Assauer partout die Vornamen der Schalker Götter, Jii Nmec hieß bei ihm Radoslav, Nico Van Kerckhoven nannte er Marc.
    Ich begann, überall Stimmen zu hören. Schau mal, da ist der Volz. Echt cool, der kann nach England gehen. Ach, dem geht es doch nur um die Kohle. Und dabei ist er doch gar nicht so ein guter Fußballer. Manchmal reichte der Blick eines Mitschülers oder eines Mannes an der Bushaltestelle, und ich glaubte zu wissen, was sie dachten. Ich war nicht stark genug, mich dem schrecklichsten Gedanken zu entziehen: Was denken die anderen über mich? Ich spielte beim Fußball-Schulturnier mit, und auf einmal erwartete jeder, dass ich sieben Tore schoss, denn ich hatte doch ein Angebot von Arsenal. Am Ende war ich selbst enttäuscht von mir, weil ich keine sieben Tore geschossen hatte.
    Ich traute mich nicht, Arsenal zuzusagen, und schaffte es nicht, Arsenal abzusagen. So oft ich auch Pro und Kontra durchging, ich kam immer nur zum selben Ergebnis: Am liebsten würde ich für Schalke und Arsenal spielen.
     
    Bis dahin hatte ich mir in meinem Leben selten Gedanken machen müssen, was ich wollte. Ich konnte darauf zählen, dass es sich einfach ergab.
    Als Kinder spielten wir auf den schiefen Wiesen von Bürbach Fußball, linker Verteidiger und Linksaußen mussten zum Tor hin immer bergauf rennen, nirgendwo fand sich ein gerades Stück Land. Bei Sport Schulze konnten wir zwischen drei Modellen Fußballschuhen wählen. Ich liebte den Moment, wenn ich die schwere Ladentür öffnete und den Geruch nach frischem Schuhleder und neuer Polyesterkleidung einatmete.
    Zu Hause erzählte unser Vater aufregende Geschichten nach dem Motto: Das Entscheidende ist nicht die Wahrheit, sondern die Pointe. (Wird er enttäuscht sein, dass ich mich in diesem Buch nicht an sein Erzählrezept, sondern strikt an die Wahrheit halte?) Auf seine Erzählart erfuhren wir von ihm, dass er in der Schule immer ganz leicht mit den allerbesten Noten durchgekommen und als Fußballer einmal der Blitz von Herne-Süd gewesen war. Das prägte uns Kinder. Wir wollten auch in der Schule gut sein, wobei mich meine Begabung rettete, schwätzen und gleichzeitig dem Lehrer zuhören zu können.
    Der Fußballplatz des Dorfes, wo der Blitz von Herne-Süd für die Alten Herren spielte, wurde unsere natürliche Zweitheimat, irgendwann selbst für meine Schwestern, wobei, wenn ich mich recht entsinne, weniger das Spiel als die Spieler interessant waren. Auch zum Sportplatz ging es bergauf. Es gab dort keine Umkleidekabinen. Wenn es regnete, lief der Schlamm des Aschenplatzes die Straße ins Dorf hinunter. Ich schoss mein erstes Tor, als mich der Ball versehentlich traf und von meinem Bauch ins Tor sprang.
     
    Mit zwölf wurde ich in die Westfalen-Auswahl berufen, ich verstand nicht, warum: Die anderen Auserwählten schienen mir alle geschickter, stärker und mit coolerer Trainingskleidung ausgerüstet. Sie spielten für Teams wie Borussia Dortmund oder Schalke und hatten Spitznamen wie Spargel. Mein Klub hieß Bürbacher Spielvereinigung. Ich war noch nie in einem Bundesligastadion gewesen. Als ich zum Kapitän der Westfalen-Auswahl berufen wurde, sagte Spargel zu mir: «Ich weiß, warum du Kapitän wirst, obwohl ich viel besser bin. Weil du immer so folgsam bist.»
    Ich glaubte, er habe recht.
    Ich hielt die anderen irgendwie immer für besser als mich. So geht es mir bis heute. Bei den anderen sehe ich ihre Künste. Bei mir sehe ich meine Fehler.
    Als ich mit 14 vom 1.  FC Köln zum Probetraining eingeladen wurde, wollte ich sofort wieder weg. Ich fühlte gleich, hier würde niemand etwas am Geruch eines Dorfsportladens finden. Die Abgebrühtheit der Jungen schüchterte mich ein. Sie erzählten von Partys, ich veranstaltete immer noch Geburtstagsfeiern. Wir gingen dann auf Nachtwanderungen über schneebedeckte Felder und lachten darüber, wenn einer in der Dunkelheit stolperte und kopfüber in den Schnee fiel. Einmal wollte ich mit meinen Freunden in Siegen ausgehen. Wir liefen die Hauptstraße rauf und wieder runter und wussten nicht, was wir dann noch machen sollten. Also
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