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Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Titel: Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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verlieren diese Bilder für sich genommen deshalb an Kraft, weil sie vor Ende des Romans wegerklärt werden. Ann Radcliffe besaß eine sehr starke visuelle Vorstellungskraft, und in ihren entzückenden Landschaftsbildern - stets in großen, glänzenden malerischen Konturen, doch nie in feinen Einzelheiten ausgeführt -tritt sie ebenso in Erscheinung wie in ihren unheimlichen Phantasien. Abgesehen von der Angewohnheit der prosaischen Desillusionierung, bestehen ihre stärksten Schwächen in der Neigung zu geographischen und historischen Fehlern und in der fatalen Vorliebe, ihre Romane mit faden, kleinen Gedichten anzureichern, die sie der einen oder anderen Gestalt in den Mund legt.

    Ann Radcliffe hat sechs Romane geschrieben: THE CASTLES OF ATHLIN AND DUNBAYNE (1789), A SICILIAN ROMANCE (1790), THE ROMANCE OF THE FOREST (1792), THE MYSTERIES OF UDOLPHO (1794), THE ITALIAN (1797) und GASTON DE BLONDEVILLE, verfasst 1802, doch erst postum im Jahre 1826 veröffentlicht. Von diesen ist UDOLPHO bei weitem der berühmteste Roman, und er darf als bester Vertreter der frühen »gotischen« Schauererzählung gelten. Der Roman ist die Chronik der jungen Französin Emily, die nach dem Tod ihrer Eltern und da ihre Tante den Schlossherrn heiratet, in ein altes und unheildräuendes Schloss in den Apenninen verpflanzt und ihrem Onkel, dem ränkeschmiedenden Edelmann Montoni, anvertraut wird. Geheimnisvolle Töne, geöffnete Türen, entsetzliche Legenden und ein namenloses Grauen in einer Nische hinter einem schwarzen Vorhang wirken in schneller Folge, um die Heldin und ihre getreue Dienerin Annette zu zermürben; doch schließlich, nach dem Tod ihrer Tante, flüchtet sie mit der Hilfe eines Mitgefangenen, den sie entdeckt hat. Auf der Heimreise macht sie Station in einem Chateau, das neues Grauen birgt; da ist der verlassene Flügel des Schlosses, in dem der verblichene Kastellan gelebt hat, und da ist das Totenbett mit dem schwarzen Leichentuch; letzten Endes aber wird sie gerettet, gerät in Sicherheit und findet mit ihrem Geliebten Valancourt das Glück, nachdem das Geheimnis, das ihre Geburt eine Zeitlang zu umgeben schien, aufgeklärt ist. Es ist ganz klar, hier handelt es sich um einen bekannten Stoff in neuer Bearbeitung, doch ist diese neue Bearbeitung so gut gelungen, dass UDOLPHO immer ein Klassiker sein wird. Ann Radcliffes Figuren sind Marionetten, doch sie sind es weniger deutlich als jene ihrer Vorläufer. Und was die atmosphärische Gestaltung angeht, steht sie an erster Stelle unter ihren Zeitgenossen.
    Von Ann Radcliffes zahllosen Nachahmern kommt der amerikanische Romancier Charles Brockden Brown ihr im Geist und in der Methode am nächsten. Wie sie schadet er seinen Erfindungen mit natürlichen Erklärungen; doch ebenso wie sie besaß auch er eine unheimliche Kraft des Atmosphärischen, die seinen Schrecken eine fürchterliche Vitalität verleiht, solange sie unerklärt bleiben. Im Unterschied zu ihr verzichtet er voll Verachtung auf den äußerlichen »gotischen« Zierat mit seinen Requisiten und wählte für seine mysteriösen Geschichten zeitgenössische amerikanische Schauplätze; doch seine Ablehnung erstreckte sich nicht auf den Geist und die typischen Episoden des Schauerromans. Browns Romane enthalten manche grauenhafte Szenen, die im Gedächtnis haften bleiben, und in der Beschreibung von Geistesverwirrungen übertreffen sie selbst die Romane von Ann Radcliffes. EDGAR HUNTLEY beginnt mit einem Schlafwandler, der ein Grab schaufelt; nur wirkt sich in dem Roman später ein lehrhafter Ton aus der Tradition William Godwins nachteilig aus. In ORMOND geht es um ein Mitglied einer sinistren Geheimbruderschaft. Dieser Roman beschreibt, wie auch ARTHUR MERVYN, die Gelbfieberseuche, deren Zeuge der Autor in Philadelphia und New York gewesen war. Doch Browns berühmtestes Werk ist WIELAND; OR, THE TRANSFORMATION (1798), und es erzählt von einem Pennsylvania-Deutschen, der, versunken in einer Flut von religiösem Fanatismus, »Stimmen« vernimmt und seine Frau und seine Kinder opfert, indem er sie erschlägt. Seine Schwester Clara, die Ich-Erzählerin der Geschichte, kommt nur knapp mit dem Leben davon. Der Schauplatz der Handlung, die auf dem waldigen Anwesen Mettingen an den fernen Gestaden des Flusses Schuylkill spielt, ist mit äußerster Lebendigkeit geschildert, und die Schrecken Claras, die in dem einsamen Haus von geisterhaften Klängen, dem Geräusch fremder Schritte heimgesucht und von wachsenden
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