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Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay

Titel: Unheimlicher Horror: d. übernatürl. Grauen in d. Literatur ; Essay
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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eine seltsame Anwandlung von Phantasie einen dunklen Winkel selbst des allerdicksten Schädels, so dass kein Aufwand an rationaler Erklärung, an Reform oder freudscher Analyse den lockenden Reiz des Kamingeflüsters oder der Waldeseinsamkeit ganz aus der Welt schaffen kann. Denn es dreht sich hierbei um eine psychologische Gesetzmäßigkeit oder Tradition, die ebenso tief im geistigen Erleben der Menschheit verwurzelt ist wie alle übrigen Gesetzmäßigkeiten oder Traditionen; ist sie doch zeitlich gleichen Ursprungs wie das religiöse Gefühl und mit vielen seiner Aspekte eng verknüpft, sowie viel zu sehr Bestandteil unseres innersten biologischen Erbes, als dass sie an zwingender Macht verlieren könnte über eine sehr bedeutende, wenn auch zahlenmäßig nicht sehr ins Gewicht fallende Minderheit unserer Gattung.
    Des Menschen erste Instinkte und Gefühle formten seine Reaktion auf die Umwelt, in der er sich befand. Klar umrissene Empfindungen, die sich auf Lust und Schmerz gründeten, umrankten jene Erscheinungen, deren Ursachen und Wirkungen er verstand; um jene aber, die er nicht verstand - und das Universum wimmelte in frühen Zeiten von solchen -, wurden natürlich solche Verkörperungen, solche wundersamen Deutungen und Wahrnehmungen von Furcht und Zittern gewoben, auf die eine Rasse, die über nur wenige und einfache Vorstellungen und beschränkte Erfahrungen verfügte, stoßen mochte. Das Unbekannte, das gleichermaßen das Unvorhersagbare war, wurde für unsere primitiven Vorväter zu einer schrecklichen und allmächtigen Quelle von Wohltaten und Unheil, die über die Menschheit aus kryptischen und völlig außerirdischen Gründen hereinbrachen; und somit gehörte es eindeutig Existenzsphären an, von denen wir nichts wissen und an denen wir keinen Anteil haben. Das Phänomen des Träumens half gleichermaßen dabei, die Vorstellung von einer unwirklichen und geistigen Welt entstehen zu lassen; und überhaupt verführten alle Lebensbedingungen in der wilden Morgenröte der Menschheit so sehr zu einem Gefühl des Übernatürlichen, dass wir uns nicht zu wundern brauchen, wie gründlich das erbliche Wesen des Menschen mit Religion und Aberglaube sich sättigte. Diese Sättigung, eine simple wissenschaftliche Tatsache, muss praktisch als permanent betrachtet werden, was das Unbewusste und die inneren Instinkte des Menschen angeht; denn obwohl der Bereich des Unbekannten seit Tausenden von Jahren ständig schrumpft, bleibt doch der größte Teil des äußeren Kosmos in ein unendliches Reservoir des Geheimnisvollen getaucht, während ein unermesslicher Restbestand von starken ererbten Assoziationen an allen Dingen und Prozessen klebt, die einst geheimnisvoll waren - ganz egal, wie gut man sie nun auch erklärt haben mag. Und mehr noch: in unseren Nervenzellen sind in der Tat die alten Instinkte physiologisch verankert, so dass sie doch insgeheim weiterwirkten, selbst wenn dem Bewusstsein jeglicher Anlass zum Staunen ausgetrieben würde.
    Weil wir uns der Schmerzen und der Bedrohung durch den Tod lebhafter erinnern als der Lust und weil unsere Gefühle gegenüber den wohltätigen Aspekten des Unbekannten von Anbeginn an von konventionellen religiösen Ritualen mit Beschlag belegt wurden und in ihnen Form annahmen, fiel es der dunkleren und bösartigeren Seite des kosmischen Mysteriums anheim, hauptsächlich in unserer populären Folklore des Übernatürlichen in Erscheinung zu treten. Diese Tendenz verstärkt sich natürlich noch durch die Tatsache, dass Ungewissheit und Gefahr immer eng verbunden sind, womit jegliche Art von unbekannter Welt zu einer Welt der Gefahren wird, in der das Böse als Möglichkeit lauert. Wenn dann zu diesem Angstgefühl noch die unweigerliche Faszination des Staunens und der Neugier sich gesellt, so entsteht ein aus heftiger Gemütsbewegung und herausgeforderter Einbildungskraft zusammengewachsenes Ganzes, dessen Vitalität notgedrungen ebenso lange bestehen muss wie die menschliche Rasse selber. Kinder werden sich immer vor dem Dunkel fürchten, und Menschen, deren Sinn empfänglich ist für den erblichen Trieb, werden immer erzittern bei dem Gedanken an verborgene und unermessliche Welten eines fremden Lebens, das in den Tiefen des Raums jenseits der Sterne pulsieren oder gräulich auf unserem Globus lasten mag; in ruchlosen Dimensionen, die nur die Toten und die Mondsüchtigen erhaschen können.
    Angesichts dieser Grundlage braucht sich niemand über die Existenz einer Literatur
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