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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bedeutete nicht, dass sie nicht hier gewesen waren.
    Â»Vielleicht sind sie doch im Kino«, schlug Tom vor.
    Â»Oder in einer deiner Kuschelecken?«
    Â»Die gibt es nicht«, gestand Tom mit einem verlegenen Grinsen. »Hab
ich erfunden, um dich hochzunehmen.«
    Â»Ja, das war in der Tat sehr witzig.« Conny schnippte ihre Zigarette
weg und trat wieder ins Haus zurück, machte aber eine rasche Handbewegung, als
Tom die Tür hinter sich zuziehen wollte. »Warte.«
    Der Junge gehorchte, und Conny nahm sich die Zeit, den kurzen
Korridor noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. In dem blassen Schein
gerade hatte sie eher das Gefühl gehabt, in ein Glas mit trübem, gelbem Honig
zu blicken, das von außen hereinfallende Tageslicht ließ sie jedoch mehr
Einzelheiten erkennen. Sie bestanden allerdings zum größten Teil aus deprimierenden
Details. Der Gang war vielleicht zehn Meter lang und durch und durch schäbig.
Der Zementfußboden war ebenso schlimm aufgerissen wie der draußen, und in der
nackten Ziegelsteinmauer hatte sich schon vor Jahrzehnten der Schwamm
eingenistet. Leere Kabelkanäle baumelten von den Wänden und der mindestens zehn
Meter hohen Decke, und rechter Hand führte eine schmale Eisentreppe zu einer
Tür auf halber Höhe hinauf.
    Â»Wohin geht es da?«, fragte sie.
    Â»Keine Ahnung«, antwortete Tom. »Jedenfalls glaube ich nicht, dass
die es hier gern haben, wenn wir da oben rumschnüffeln.«
    Das hatte sie auch nicht vor. Ein bisschen Paranoia war ja ganz in
Ordnung, aber allmählich kam sie selbst zu dem Schluss, dass sie es übertrieb.
Wahrscheinlich saßen Pferdeschwanz und das Mädchen friedlich im Kinosaal und
fummelten ein bisschen, oder sie hatten eine verschwiegene Ecke gefunden, wo
sie mehr tun konnten, als nur zu fummeln. Sie gab dem Jungen ein Zeichen, die
Tür zu schließen, ging weiter und blieb nach zwei Schritten wieder stehen.
    Â»Was war das?«
    Â»Was war was?«, fragte Tom.
    Conny gestikulierte unwillig, still zu sein, und lauschte mit schräg
gehaltenem Kopf und angehaltenem Atem. Nichts. »Ich dachte, ich … hätte einen
Schrei gehört«, sagte sie zögernd.
    Â»Hast du wahrscheinlich auch«, antwortete Tom. »Nebenan läuft ein
Horror-Film.«
    Das war eine sehr überzeugende Erklärung, und mit ziemlich hoher
Wahrscheinlichkeit auch die Wahrheit. Jetzt, wo der Junge sie einmal darauf
aufmerksam gemacht hatte, waren die Filmgeräusche kaum noch zu überhören;
verschwommene Stimmen und tatsächlich so etwas wie ein Schrei und ein tiefes,
vibrierendes Grollen, mehr zu spüren, als wirklich zu hören. Die Wände hier
waren dick, aber vermutlich brauchten sie dort drinnen eine 52000-Watt-Dolby-Surround-Anlage,
um die Musik zu überbrüllen. Mit einem schlechten Gefühl ging sie weiter und
blieb wieder stehen, bevor sie den Schritt auch nur zu Ende gebracht hatte.
    Diesmal war sie sicher, dass der Schrei von oben gekommen war.
    Sie drehte sich um, schob den Jungen kurzerhand aus dem
Weg und ging zur Treppe zurück. Tom setzte zu einem schwächlichen Protest an,
aber Conny ignorierte ihn einfach. Unter normalen Umständen hätte sie es sich
dreimal überlegt, ihr Gewicht einer Treppe anzuvertrauen, die nur aus Rost und
hervorstehenden Schrauben und Bolzen zu bestehen schien, aber jetzt stürmte sie
einfach weiter und hielt erst an, als sie die rostige Eisentür an ihrem
obersten Ende erreicht hatte.
    Â»Was tust du da?«, rief Tom ihr nach. Er klang nervös. »Das ist
keine gute Idee. Komm lieber da runter.«
    Conny legte behutsam die Hand auf die Türklinke und stellte ohne
besondere Überraschung fest, dass sie nicht abgeschlossen war. Musik und die
Geräusche des Films drangen lauter an ihr Ohr, als sie die Klinke vorsichtig
weiter herunterdrückte und die Tür einen Spaltbreit aufzog, sowie eine Menge
anderer Geräusche, die sie nicht identifizieren konnte.
    Â»Komm da runter!«, quengelte Tom, »und …«
    Â»Bleib, wo du bist!«, unterbrach ihn Conny hastig. »Oder besser
noch, verschwinde. Wenn ich in zehn Minuten nicht zurück bin, rufst du die
Polizei!«
    Â»Aber du …«
    Conny zog die Tür weiter auf, schlüpfte hindurch und drückte sie so
leise hinter sich wieder ins Schloss, wie sie konnte. Sie befand sich in einem
weitläufigen hohen Raum, der so mit …
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