Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
aber dann und wann blitzte einer der Scheinwerfer
besonders grell auf, riss ein einzelnes, stroboskopisches Bild aus den Schatten
und zeigte ihr immerhin, dass sich der Raum dort noch überraschend groß
ausdehnte. Tom war längst verschwunden, als hätten ihn die gemauerten
Eingeweide des Trash einfach aufgesaugt. Hoffentlich
passierte dem Jungen nichts. Wenn sie ihn wirklich auf den Vampir gehetzt hatte …
    Conny vertrieb sich die Zeit damit, dem Rest der
Vampirshow auf der Bühne zu folgen. Sie hatte richtig vermutet: Es war durchaus
sehenswert und tatsächlich beinahe professionell in Szene gesetzt. Die Vampirin
ging in einem Crescendo von dröhnenden Bässen und jaulenden Gitarrentönen,
grellen Lichtblitzen und farbig angestrahltem Trockeneis-Nebel endgültig
zugrunde, und für eine einzelne, aber schier endlos erscheinende Sekunde
erloschen nicht nur die Scheinwerfer, sondern sämtliche Lichter.
    Begeisterter Applaus brandete auf, als es wieder hell wurde. Die
beiden Hauptdarsteller verneigten sich tief und genossen ihren wohlverdienten
Beifall, und Tom kam pünktlich wie auf ein Stichwort zurück, ein breites
Grinsen auf seinem geschminkten Kindergesicht, das sie mutmaßen ließ, dass sie
sich wohl tatsächlich blamiert hatte.
    Â»Alles in Ordnung«, griente er. »Die Unschuld deiner Tochter ist
nicht in Gefahr. Allenfalls ihre Lungen.«
    Conny dachte an die Zigarettenpackung, die das Mädchen hervorgezogen
hatte, und kam sich für einen Augenblick noch hilfloser vor. Mittlerweile
unterliefen ihr keine Anfängerfehler mehr, sondern einfach nur noch … Dummheiten. Man musste nicht drei Jahre lang die
Polizeischule besuchen, um die richtigen Schlüsse aus der Beobachtung zu
ziehen, dass jemand eine Schachtel Zigaretten zückte.
    Â»Da hinten ist der Raucherraum«, vermutete sie.
    Â»Stimmt.« Tom nickte. »Unter anderem.«
    Â»Und was noch?«
    Â»Kino, ein paar verschwiegene Kuschelecken … aber keine Bange, alles
ganz jugendfrei.«
    Â»Kino?« Sie zog es vor, die letzte Bemerkung zu ignorieren. So lange
die beiden nur kuschelten, ganz egal wie intensiv, war alles in Ordnung.
    Â»Es läuft gerade Bram Stokers Dracula«, antwortete Tom. »Und danach
Gothika … oder umgekehrt, ganz sicher bin ich nicht.«
    Â»Ein ganz schöner Aufwand für eine Wochenend-Disco.«
    Â»Lass das nicht den Veranstalter hören«, antwortete Tom mit
übertrieben geschauspielertem Schrecken. »Das hier ist das Jahrestreffen. Die
stecken ‘ne Menge Energie und Mühe in die Vorbereitung und Planung. Soll ich
dich ein bisschen rumführen?«
    Conny konnte sich auf Anhieb ungefähr tausend Dinge vorstellen, die
sie lieber getan hätte, aber andererseits ergab sich ja auf diese Weise
vielleicht die Möglichkeit, noch einmal einen Blick auf Pferdeschwanz und seine
neueste Eroberung zu werfen. Sie nickte. »Warum nicht?«
    Tom streckte die Hand nach seinem Glas aus. Conny nahm ihm die
Arbeit ab und reichte es ihm – wobei sie unauffällig an seinem Inhalt
schnupperte. Er roch zumindest nur nach Cola. Der
Junge tat so, als wäre ihm die kurze Kontrolle weder aufgefallen noch ärgere er
sich darüber, sondern schnappte sich sein Glas und eilte voraus, wobei er sich
geschickt und auf eine Art durch die immer noch applaudierende Menge
schlängelte, die eine Menge Übung verriet. Conny folgte ihm etwas weniger
geschickt, aber nicht unbedingt langsamer, wobei sie sowohl ihr Verzehrkärtchen
als auch ihr Glas mitnahm, um nicht aufzufallen. Natürlich erreichte sie damit
das Gegenteil. Das hier war schließlich keine Cocktailparty, auf der man mit
einem Glas in der Hand herumlief; und das im Grunde genommen eigentlich, um aufzufallen.
    Hinter ihnen stieß die Trockeneismaschine eine letzte, zischende
Nebelwolke aus, und das Licht wurde heller. Das Publikum begann sich zu zerstreuen,
während der Vampirjäger und sein auf wundersame Weise wiederauferstandenes
Opfer damit begannen, ihre Utensilien zusammenzupacken, um die Bühne für die
nächste Darbietung freizugeben. Das heller gewordene Licht machte es etwas
leichter, sich zu orientieren, aber es nahm seiner Umgebung auch eine Menge von
ihrem vorgetäuschten Zauber, der mehr auf dem geschickt eingesetzten Spiel von
Licht und Schatten als auf wirklicher Magie beruhte. Und so ganz nebenbei war
auch jetzt sie deutlicher zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher