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Unheil

Unheil

Titel: Unheil
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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glitt sein Blick kurz und ganz eindeutig
abschätzend über ihre Gestalt und ihr Gesicht, und diesmal nahm er sie zur Kenntnis. Conny spürte nicht nur sein Erstaunen, sondern auch so
etwas wie ein sachtes Erschrecken; und ein umso jäheres Aufflammen von
Misstrauen. Dann erlosch sein Interesse genauso schlagartig wieder, und er
konzentrierte sich erneut auf sein potenzielles Opfer.
    Conny musste sich beherrschen, um ihn ihrerseits nicht anzustarren,
aber sie beging auch nicht den Fehler, ihn demonstrativ zu ignorieren, sondern
versuchte sich in einem komplizierten Balanceakt dazwischen.
    Anscheinend mit Erfolg, denn sein Interesse an ihr war nicht nur
vollkommen erloschen; er widmete sich wieder völlig dem Mädchen mit den
violetten Haaren und schien von dem Geschehen auf der Bühne so gut wie nichts
mehr mitzubekommen. Auch aus der Nähe betrachtet hatte er noch etwas von einem
Kind, fand Conny, wenn auch sicherlich nicht mehr sehr viel von einem unschuldigen Kind. Sie korrigierte ihre anfängliche
Schätzung noch einmal ein wenig nach unten – er war allerhöchstens Anfang zwanzig, eine Vorstellung, die sie zutiefst entsetzte, wenn sie an seine
Opfer dachte – aber ihr fielen auch noch ein paar Dinge auf, die sie aus der
Entfernung nicht wahrgenommen hatte und die zumindest merkwürdig waren. Er war
für hiesige Verhältnisse fast dezent gekleidet. Sowohl seine schwarzen Jeans
als auch das schwarze T -Shirt mit dem Evanescence- Aufdruck waren neu, und die bleiche Schminke,
die er aufgetragen hatte, machte auf den ersten Blick einen perfekten Eindruck.
Allerdings fehlte ihr irgendwie die Leichtigkeit, die man bei fast allen
anderen hier beobachten konnte; als hätte er versucht, mangelnde Übung mit umso
größerer Sorgfalt auszugleichen. Er kam ihr vor wie ein Chamäleon … aber ein fabrikneues Chamäleon, das sich vorsichtig auf unbekanntem
Terrain bewegte.
    Aber machte ihn das automatisch zu einem Verdächtigen?
    Was war wohl wahrscheinlicher? Dass ihr ein vollkommen Fremder
einfach so den zurzeit meistgesuchten Serienmörder des Landes auf dem
Silbertablett präsentierte, ohne auch nur zu sagen, warum, oder dass der
Bursche einfach genauso neu hier war wie sie, sich aber ein etwas passenderes
Outfit zugelegt hatte und einfach nur scharf auf die Kleine mit den violetten
Haaren war?
    Conny verzichtete wohlweislich darauf, sich eine ehrliche Antwort
auf diese Frage zu geben, und beobachtete weiter den Langhaarigen, der mit zwei
Gläsern in der Hand zu seinem potenziellen Opfer zurückschlenderte. Je länger
sie ihn beobachtete, desto verdächtiger kam er ihr vor. Aber das war nur
normal. Wenn hier mit jemandem etwas nicht stimmte, dann mit ihr. Hätte sie
ihren Verstand auch nur halbwegs beisammen, dann würde sie diesen Radauschuppen
auf der Stelle verlassen und sich auf dem Rückweg schon einmal Gedanken über
eine glaubhafte Ausrede für den halben Tag machen, den sie mit diesem
Schwachsinnsunternehmen verplempert hatte.
    Jemand berührte sie an der Schulter. Die Bedienung beugte sich
hinter ihr weit genug über die Theke, dass Conny bis zum Bauchnabel hinab in
den Ausschnitt ihres pseudo-mittelalterlichen Kleides blicken konnte, und
erkundigte sich mit einem unwilligen Blick nach ihren Wünschen. Conny bedeutete
ihr ebenso wortlos, ihr dasselbe zu bringen, das Pferdeschwanz für sich und
seine Freundin bestellt hatte, und sah kurz zur Bühne hoch. Der Sargdeckel
stand inzwischen offen, und wie sie erwartet hatte, war der Vampirjäger gerade dabei,
seinem Opfer (das ganz eindeutig nicht unschuldig
aussah) den Rest zu geben. Was sie ein wenig überraschte, war die Qualität der
Vorstellung, die schon beinahe professionelles Niveau erreichte.
    Aber sie war nicht hier, um eine künstlerische Darbietung gleich
welcher Qualität zu genießen.
    Pferdeschwanz und das Mädchen standen wieder Schulter an Schulter
da, nippten an ihrer verwässerten Cola und schäkerten, was das Zeug hielt; ein
Anblick, der Conny fast ein schlechtes Gewissen bereitete. Wahrscheinlich war
der Junge tatsächlich einfach nur heiß auf das Mädchen.
    Â»Ist er weg?«
    Conny registrierte gleichzeitig eine Berührung an der linken
Schulter und die Stimme von links. Während sie mit der einen Hand ein Glas Cola
mit sehr viel Eis entgegennahm und bemerkte, dass sie ja gar keine Stempelkarte
besaß, sah sie nach links und in
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