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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren
Autoren: Arne Dahl
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Schlussfolgerungen gezogen, was mich betrifft«, sagte sie. »Junges Ding mit zerrissener Jeans und Bauchnabelpiercing. Eine Spionin aus der Unterwelt, die auf einer Bananenschale hereingerutscht ist? Ein angeheuertes Callgirl? Eine Überraschungsstripperin?«
    Ein Mann lachte laut hinter ihrem Rücken. Laut und herzlich. Sie drehte sich um. Die Blitze aus ihren Augen erloschen, als sie den dunkelblonden Mann mit einem roten Mal auf der Wange und einer trendgerechten Plastikbrille auf der Nase sah.
    »Ich glaube, ich weiß, wer du bist«, sagte er ruhig. »Kerstin hat von dir erzählt. Schade, dass ich nicht mehr die Chance bekomme, mit dir zusammenzuarbeiten.«
    »Dann bist du Paul Hjelm!«, rief die Frau aus. »Die Brille hat mich getäuscht. Du siehst aus wie ein Verwaltungsmensch.«
    »Was ich inzwischen bin«, sagte der Mann und befingerte seine Leichtgewichtbrille. »Bald schaffe ich mir auch eine Armbanduhr an, dann ist die Verwandlung perfekt.«
    Die junge Frau reichte ihm die Hand und schien plötzlich die Sprache verloren zu haben. »Paul Hjelm«, sagte sie nur.
    Der Mann namens Paul Hjelm schüttelte ihre Hand und sagte: »Weil es keinen aus der A-Gruppe hier gibt, ist es wohl am besten, dass ich dich allen vorstelle. Hört mal alle her. Dies ist Lena Lindberg, der jüngste Neuzugang der A- Gruppe. Ihr erster Arbeitstag ist …«
    »Morgen. Und entschuldigt meinen Aufzug. Ich wusste nicht, dass es ein so formelles Fest ist.«
    »Das ist es auch nicht«, sagte Hjelm. »Für die meisten ist es einfach nur die richtige Art und Weise, einen Mann zu feiern, dem wir vieles verdanken.«
    »Ich habe gehört, dass Hultin ein guter Chef war …«
    »Erst jetzt, wo ich selbst Chef bin, weiß ich, wie gut. Der stramme und gut gekleidete Mann, dem du eben auf den Schlips getreten bist, ist Polizeiintendent Niklas Grundström, Chef der Abteilung für Interne Ermittlungen, also ein Mann, dem man tunlichst nicht auf den Schlips treten sollte. Dann haben wir Ludmila Lundkvist, Dozentin für slawische Sprachen und die Frau deines zukünftigen Kollegen Gunnar Nyberg.«
    »Lebensgefährtin«, korrigierte eine dunkle kleine Frau mit schwachem russischen Akzent und nickte der jungen Frau zu. »Gunnar ist der große Kerl dort hinten.«
    Der Fotograf machte ein paar Bilder. Die Blitze zuckten durch den Festsaal, als wäre ein mächtiges Gewitter im Anzug.
    Der Mann mit der Plastikbrille fuhr fort: »Dann haben wir den Abteilungsdirektor Waldemar Mörner, den formellen Chef der A-Gruppe.«
    Der Fotograf erkannte den Mann mit den an ein Toupet erinnernden blonden Locken und ließ einen weiteren Blitz los, dass es um das kreideweiße Lächeln Funken sprühte wie von Wunderkerzen.
    »Entzückend«, sagte der Toupetmann und buckelte wie ein Lakai am Hofe Ludwigs XIV.
    »Da sieht man’s«, sagte die junge Frau und hielt die Erscheinung mit dem Blick fest. »Worüber habt ihr gesprochen, bevor ich hereingeplatzt bin?«
    Die Mitglieder der Clique beobachteten einander vorsichtig, um zu sehen, ob jemand sich erinnerte.
    Die kleine dunkle Frau mit dem russischen Akzent sagte schließlich: »Kinder, glaube ich.«
    »Genau«, sagte der Toupetmann. »Ich habe zurzeit eine Vaterschaftsklage am Hals. Oder wo man sie hat, vielleicht etwas weiter unten.«
    »Weiter unten?«, fragte die junge Frau unbedacht.
    »Ich habe nicht gesagt, weiter unten am Hals. Weiter unten als am Hals, habe ich gemeint. Falls es stimmt, habe ich irgendwo in Dalsland einen fünfundzwanzigjährigen Sohn. Ein interessanter Gedanke für einen Mann, der es eigentlich sein Leben lang ›mit‹ gemacht hat.«
    Die junge Frau erkannte, dass sie keine höheren Wellen verursacht hatte, als sie hereingestürmt war. Hier wehte bereits ein frischer Wind. Äußerst sonderbare Bilder traten vor ihr inneres Auge.
    Die Übrigen blieben ungerührt – sie kannten offenbar den Toupetmann und seine Schrullen. Der Fotograf machte noch ein Bild. Von dem verblüfften Gesicht der jungen Frau. Sie hatte nichts dagegen.
    »Nein«, sagte die russische Frau in sachlichem Ton. »Ich glaube, das Gespräch fing damit an, dass ich zugab, wie mir Kinder fehlen. Vor allem jetzt, wo ich ein paar erwachsene Plastikkinder als Zugabe bekommen habe.«
    »Plastikkinder?«, sagte die junge Frau.
    »Ist das falsch?«, fragte die Russin besorgt. »Kann man das nicht sagen?«
    Der gut gekleidete stramme Mann griff ein: »Da unsere familiären Verhaltensmuster dazu geführt haben, dass Begriffe wie
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