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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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deutlicher.
    Sie versuchte, ihre Schultern zu lockern, drückte die Rückenwirbel durch und sah an sich herab. Sie war splitternackt. Über ihr wiegte sich eine ebenso leichenblasse Mondsichel. Das widerwärtige Gefühl, beobachtet zu werden, wurde körperlich. Über der Brust versengten zwei glühende Flecken die kalte Haut. Sie musste hier weg. Sauren Speichel hinunterschluckend, stakte sie los, den Blick zwischen die grauschwarzen Pfeiler der Stämme gerichtet, die zitternden Arme nach vorn gestreckt.
    Lautes Knacken verwischte den sichelförmigen Mond, löschte das Schreien des Nachtvogels. Lara hatte dies alles schon einmal durchgemacht. Damals war es ein Traum gewesen, schaurige Fantasie eines überreizten Gehirns, sie war zu Hause in ihrem Bett erwacht und hatte sich gefragt, was ihr diesen Albtraum beschert hatte. Dieses Mal aber – dieses Mal war es kein Traum. Das hier war die Realität. Lara tappte weiter, schneller jetzt, versuchte, sich an das Ende der Halluzination zu erinnern. Wie war es ausgegangen? Was hatte der Verfolger mit ihr getan? Was … Aber mehr als schmerzhafte Atemnot und ein Gefühl, als schnüre ihr etwas die Kehle ab, tauchten nicht aus dem Unterbewusstsein auf. Er musste sie gewürgt haben. Und wahrscheinlich hatte der Irre genau das jetzt auch vor. Laras Finger umklammerten die Metallöse, sie
wappnete sich für das, was gleich geschehen würde, alle Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Die Ohren registrierten jedes Geräusch.
    Ihr Nacken verkrampfte sich, und sie schwankte, als sie einen Schlag im Rücken spürte. Das Schwein hatte von hinten irgendetwas Schweres auf sie geschleudert. Lara knickte in den Knien ein, ließ sich zu Boden gleiten und hoffte, dass er nicht bemerkt hatte, dass sie den Sturz nur simuliert hatte.
    Jetzt kam er.
    Sie konnte sein Hecheln hören. Lara kniff die Augen zusammen, spähte durch den schmalen Spalt zwischen den Lidern und zog ganz vorsichtig die rechte Hand unter dem Rumpf hervor, bis Hand und Metallstab unter dem Oberschenkel lagen. Alle Muskeln angespannt, erwartete ihr Körper das Herannahen des Mörders.
    Sie hatte nur einen Versuch.
    Eine schwarzglänzende Gestalt mit einem geweihähnlichen Kopf neigte sich über sie, die Arme wie ein Segen spendender Pfarrer ausgebreitet. In seiner Rechten funkelte eine schmale Klinge. Jetzt beugte er sich herab, das Skalpell senkte sich.
    Mit einem nicht enden wollenden, gellenden Schrei katapultierte Lara sich hoch, der rechte Arm fuhr wie ein Dolch nach oben, während der Froschmann sie mit dem Skalpell nur knapp verfehlte und gleich darauf an den Schultern packte. Laras linke Hand erwischte die Halsfalten seiner Latexhaut, und ihre Fingernägel krallten sich hinein. Für einen winzigen Augenblick verharrten beide in einer grotesken Umarmung, dann stieß Lara dem Mann, weiterhin ihre unbändige Wut hinausschreiend, mit aller Kraft den Metallstab ins linke Auge und machte dann einen Satz nach hinten. Konvulsivisch zuckend brach er zusammen, seine Beine zitterten.

    Laras Kreischen hörte so abrupt auf, wie es begonnen hatte. Der Froschmann hatte aufgehört zu zucken und lag jetzt mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. »Ich hab ihn umgebracht.« Lara wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Dann gaben ihre Beine nach, und sie stürzte auf den weichen Waldboden. »Hab das Schwein umgebracht!« Wildes Kichern brach sich Bahn. Lara heulte und lachte, bis ihr die Luft wegblieb. Hustend lag sie auf dem weichen Moosbett. Direkt neben ihrem Kopf glänzte die Silberklinge des Skalpells. Sie griff danach und versuchte sich aufzurappeln. Schon halb abgewandt, kehrte Lara noch einmal zurück. Sie brauchte die Autoschlüssel. Der Froschmann lag, wie sie ihn verlassen hatte, die Öse des Metallstabes ragte aus seinem Auge steil nach oben, ein schmales Blutrinnsal lief seitlich über die schwarzglänzende Gummihaut. Das Geweih auf seinem Kopf entpuppte sich als Nachtsichtgerät. Er musste es in die Stirn geschoben haben, bevor er sie gepackt hatte. Mit dem Skalpell schnitt sie die Träger seines Rucksacks durch, wickelte sich die Bänder um das Handgelenk und stakte so schnell es ging davon.
     
    Erst in der Scheune öffnete sie den Beutel. Zuoberst lag eine Taschenlampe. Laras Finger zitterten so stark, dass sie mindestens dreimal vom Einschaltknopf abrutschte, ehe das Licht aufflammte. Der schmale Lichtkegel trieb ihr erneut die Tränen in die Augen. Sie leuchtete in den Rucksack. Schraubgläser, eine
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