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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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zügelte seine Atmung. Das Blut hämmerte Technobeats durch seine Adern, schäumte und pulsierte.
    Noch verharrte sie regungslos. Er konnte körperlich fühlen, wie die junge Frau angstvoll in die Nacht lauschte, aber gleich würde sie davonstürzen, so viel war sicher. Und dann begann das Spiel, das Doctor Nex über alles liebte, unvergleichlich
mehr noch als die Erschaffung seiner Kreationen, wie er in diesem Augenblick des Wartens erkannte.
    Sie würde durch die Bäume hetzen, stolpernd und wimmernd, die Augen in Panik weit aufgerissen, den Mund geöffnet, panisch nach Luft ringend. Dass Steinchen und Wurzeln ihre Fußsohlen malträtierten, würde sie nicht bemerken. Er hatte Erfahrung damit. Das Adrenalin blendete die Schmerzen aus. Der ganze Körper konzentrierte sich nur auf die Flucht. Sie wusste, dass er sie verfolgte, weil er es ihr gesagt hatte, und das würde ihre Panik noch steigern. Zugleich verhinderte diese Panik logisches Denken, was es für ihn leichter machte. Dazu kam, dass er alles gut erkennen konnte, das Wild jedoch fast blind umherrannte.
    Jetzt setzte sie sich in Bewegung.
    Er atmete scharf ein und hob den rechten Fuß in Erwartung, dass sie losstürmen würde, aber die kleine Journalistenschlampe ließ sich Zeit. Mit zögernden Trippelschritten umrundete sie den Rollstuhl und tappte dann in die Richtung los, aus der sie gekommen waren. Ohne es zu wissen, kam sie direkt auf ihn zu! Behutsam setzte sie ein Bein vor das andere, den linken Arm nach vorn gestreckt, den rechten dicht an den Körper gepresst. Schritt für Schritt tastete sie sich zwischen den Bäumen hindurch, darauf bedacht, in der Finsternis nirgends anzustoßen, sich nicht an herabhängenden Ästen oder im Weg stehenden Stämmen zu verletzen. Nach jedem Schritt machte sie eine kurze Pause, wie um zu lauschen.
    Verwirrung regte sich in Doctor Nex’ Brustraum. Die kleine Schlampe tat nicht, was er von ihr erwartete. Er lief ein Stück zur Seite, umrundete sie vorsichtig, sodass er wieder hinter ihr stand. Der Drang, das Wild bis zu dessen völliger Erschöpfung zu hetzen, wurde stärker und mischte sich mit wachsender Unruhe. Das Opfer schien nicht gewillt, durch
den Wald zu stürmen, vor ihm davonzurennen und sich in – trügerische – Sicherheit zu bringen. Dieses kleine Flittchen!
    Ihre Renitenz machte ihn wütend. Das Blut rauschte in den Ohren, grüne Schleier webten vor seinen Augen auf und ab. Sein Atem ging stoßweise. Mit zusammengepresstem Kiefer schlich er ihr nach, die Hände um die Träger des Rucksacks gekrampft. Sie durfte auf keinen Fall bis zur Scheune gelangen. Er beschleunigte seine Schritte und stellte dabei die Schärfe des Nachtsichtgeräts nach.
    Laras gemustertes Oberteil rückte näher. Er hatte ihr, bis auf die Schuhe, die Kleidung gelassen, nicht um es ihr leichter zu machen, sondern weil es nach dem Fesseln nicht mehr möglich gewesen war, sie auszuziehen, da ihr Körper mitsamt Jeans und Bluse am Rollstuhl festgeklebt hatte.
    Da kam er ihr nun schon so entgegen, und nun weigerte sich das blöde Ding, sein Spiel mitzuspielen. Worauf wartete sie eigentlich? Dachte sie im Ernst, er würde sie bis zu der Scheune, an der sein Auto stand, laufen lassen? Die Empörung rollte in immer stärker werdenden Wellen heran, überspülte seinen Verstand und rief nach Rache. Vor ihm schwankte der schmale Körper leicht von links nach rechts. Er würde sie bremsen müssen. Vielleicht brachten Schläge oder ein paar oberflächliche Schnitte mit dem Skalpell die Schlampe dazu, ihn ernst zu nehmen. Heftig keuchend hielt er nach Steinen Ausschau, der Waldboden jedoch schien wie zum Hohn leergefegt. Zornig griff er nach einem borkigen Zweig und riss daran. Mit einem Knacken brach der Ast ab, und Doctor Nex stellte sich in Position, um ihn auf sein Wild zu schleudern.
     
    Vor Laras Augen flimmerten grauschwarze Schattenrisse, Säulen und knochenfingerähnliche Gebilde. Während sie auf
wackligen Beinen mit gebeugtem Rücken voranschritt, fügte ihr Gehirn Geruch, Vogelrufe und Umrisse zusammen. Sie war im Blair Witch Project gefangen. Und es war real. En Nachtvogel schrie. Dann raschelte es dicht hinter ihr. Lara hatte das Gefühl, dass sich all ihre Muskeln gleichzeitig verkrampften, während die Bronchien sich schmerzhaft verengten und das Herz wie ein Presslufthammer losratterte. Durch permanentes Starren in die Nacht hatte sich der Blick geschärft, und sie sah die borkigen Stämme und hängenden Zweige
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