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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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genau dort, wo jetzt jede Menge Einsatzfahrzeuge parkten. Und so war ihm nichts anderes übrig geblieben, als ein paar Querstraßen weiter zu laufen, sich einen Sitzplatz zu suchen und zu beten, dass der Akku des Laptops geladen war.
    Die Batterie war halb leer gewesen, und weiter als bis zur Eingabe des Passwortes war er bis jetzt nicht gekommen. Das Notebook summte verächtlich. Mark sah auf die Uhr. Das flaue Gefühl in seinem Magen wurde von Minute zu Minute stärker.
    Wie schlau war der Täter wirklich? Hatte der Typ ein Passwort benutzt, wie es die Experten empfahlen – zusammengesetzt aus Groß- und Kleinbuchstaben und Zahlen? Dann hatte er keine Chance. Und auch die Spezialisten würden Tage brauchen, um den Code zu knacken. Zu spät für Lara. Mark schüttelte heftig den Kopf, verbot der Sorge, weiter durch sein Gehirn zu kriechen und jeden klaren Gedanken aufzuweichen, und tippte stattdessen weiter Buchstabenkombinationen in das weiße Feld.

    D. G. Eine, die Unterschrift unter den Briefen, hatte nicht funktioniert. Mark versuchte weitere Varianten der sechs Buchstaben, mit und ohne Punkte.
    Zehn nach elf. Er dokterte jetzt schon fast zwanzig Minuten herum und hatte nichts erreicht.
    EDEN GI
    ENDE GI
    DIE GEN
    DIE ENG
    EID GEN
    Nichts außer: »Bitte geben Sie Ihr Passwort ein.« Übelkeit wuchs vom Magen nach oben.
    EID ENG
    DEIN EG
    NEID EG
    Ladezustand der Batterie: 35 %. Sein Herz hämmerte schneller. Mark dachte an den Buchtitel. »Ed« war eine Abkürzung für Edward gewesen. In Wirklichkeit hatte der Schlächter von Plainfield Edward Theodore Gein geheißen. Wie von selbst tippten seine Finger den Namen in das Eingabefeld. Er erschauerte, als die Windows-Melodie ertönte und das Passwort-Fenster verschwand. En kaltes Rinnsal lief ihm über das Rückgrat nach unten, während die Bildschirmsymbole erschienen. Marks Mittelfinger rutschte über das Touchpad. Er rückte den Laptop auf den Knien zurecht, beugte sich nach vorn und betrachtete Ordner und Programmsymbole. Dann schob er den Cursor auf »Eigene Dateien« und überflog die Liste der gespeicherten Objekte. In seinen Ohren rauschte das Blut wie ein Wasserfall, als er »Briefe« anklickte.

    Künstler äußert sich zu seinem Werk!
    Marks Augen fraßen sich an den Formulierungen fest.
    Schließlich tragen diese Frauen mit Teilen ihres Körpers zu seiner Kreation bei, das sollte ihnen Befriedigung und Sinnhaftigkeit genug sein.
    In seinem Kopf protestierte die Stimme der Vernunft immer lauter, dass er aufhören müsste, dieses irre Zeug zu lesen, dass er stattdessen nach etwas suchen sollte, das ihm Laras Aufenthaltsort verriet – und zwar schnell –, aber er konnte die Augen nicht von den Blockbuchstaben abwenden.
    Um den Lieferantinnen der Einzelkomponenten nicht unnötig Schaden zuzufügen, hat D. G. Eine den Weg gewählt, ihren Körper vorher vom Bewusstsein zu trennen.
    Erst das herannahende Rütteln von Autoreifen auf dem Kopfsteinpflaster brachte ihn zur Besinnung. En roter Kastenwagen rauschte vorbei und verschwand in der Nacht.
    Mark wollte schlucken, aber sein Mund war staubtrocken. Wahllos klickte er auf weitere Symbole, fand Musiktitel, Karikaturen, Bestellformulare, Exceltabellen mit Steuerabrechnungen, ein Adressbuch, Versicherungsschreiben und Ordner zu Auto und Haus.
    Das Batteriesymbol in der rechten unteren Ecke zeigte jetzt fünfzehn Prozent. Mark hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Es würde Tage, wenn nicht Wochen dauern, all diese Dokumente durchzusehen. Was hatte er sich eigentlich dabei gedacht, sich mit dem Laptop des Verbrechers davonzumachen?
Die Vorstellung, dass er, Mark Grünthal, mitten in der Nacht an einer Bushaltestelle saß und in knapp einer Stunde etwas im Computer des Täters entdecken könnte, was ihn zu Lara führen würde, war absurd.
    Aber er hatte es nicht fertiggebracht, die Ermittlungen den Polizisten zu überlassen, danebenzustehen und abzuwarten, wie diese systematisch alles durchsuchten, während der Verrückte zur gleichen Zeit Lara abschlachtete.
     
    En kleines Fenster poppte auf und drängte, dass der Akku gleich leer sei und er das Gerät sofort an die Stromversorgung anschließen müsse, um Datenverlust zu vermeiden.
    Mark stierte auf den Bildschirm. Er musste zurück zum Haus dieses Verbrechers. Jetzt gleich.
    Mit einem durchdringenden Jaulen verabschiedete sich das Notebook. Der Bildschirm erlosch. Mark konnte nichts mehr tun. Seine Freundin war verloren.

37
    Die Räder
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