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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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hatte.

3. Szene
Eisenbahnbrücke über den Oder-Havel-Kanal
    Ich kam vom S-Bahnhof Lehnitz her und hatte den Eindruck, sie drehten hier einen ihrer Serien-Krimis. Ständig denselben Mist. Aber für die Beteiligten immerhin die hohe Alchimistenkunst, aus Dreck Gold zu machen. Während wir als real existierende Kripo mit unserer Besoldung dem Sozialhilferichtsatz immer näher kamen.
    Auf, neben und unter der Brücke waren reihenweise Scheinwerfer aufgestellt. Klar, daß die Kolleginnen und Kollegen vom Sicherungsangriff in einer Januarnacht wie dieser mehr brauchten als den Schein ihrer Feuerzeuge. Vom nahen See her fegte Schneeregen durch die Schneise des Oder-Havel-Kanals. Ich hatte die Wahl zwischen Blasenentzündung, Grippe oder Stirnhöhlenvereiterung.
    Die Tote lag auf der vielleicht meterbreiten Galerie zwischen Brückenpfeiler und Wasser. Und zwar auf der südlichen, der sozusagen Berliner Seite. Für diese Jahreszeit war sie viel zu leicht bekleidet. Zwar Stiefel, aber nur einen leichten Rock und dünne Strumpfhosen. Und für ihr Alter, sie mochte Mitte Sechzig sein, zu bunt, zu modisch. Richtig aufgetufft, was Schminke und Haare betraf. So eine Mischung zwischen alternder Diva und abgewrackter Nutte, aber einer mit Herz.
    Yaiza Teetzmann und Volker Vogeley kamen auf mich zu. Mein Oranienburger Kollektiv.
    «Sie ist erschossen worden», sagte Volker Vogeley.
    Ich hatte das Gefühl, daß er mich verscheißern wollte. «Welcher
    Freier erschießt schon die Dame seiner Wahl, wenn’s nicht klappen sollte – die erwürgt man höchstens. Die Leute sollten sich mehr ans Fernsehen halten.»
    «Ick dachte ooch erst, det Oma ihren letzten Fick nicht mehr janz vakraftet hätte.» Yaiza Teetzmann fror erbärmlich. Sie war erst gestern abend aus dem Urlaub zurückgekommen. Lanzarote. Wie jedes Jahr. Schließlich hatte sie ihr Vater nach einer legendären kanarischen Prinzessin benannt. Damals aus der Sehnsucht des eingemauerten DDRlers heraus.
    Volker Vogeley ließ sich nicht beirren. «Kopfschuß. Das heißt, vorne rein in den Mund.»
    «Hör auf...»
    «Hinten ist die Kugel direkt unter ihrer Haarspange wieder ausgetreten.» Er hatte noch einiges an Informationen parat. «Name Luise Tschupsch, geboren am 5. 4.1928 in Oranienburg, wohnhaft Spessartstraße 87 in 14197 Berlin...»
    «Spessartstraße...» Ich mußte einen Augenblick lang überlegen. «Das ist doch hinten in Friedenau. So richtig gutbürgerlich.»
    «Zum Bürger, zum Bürger kommt ganz besonders gern der Würger...» Mit Volker Vogeley ging wieder einmal der Kabarettist und Liedermacher durch. Das war er im Nebenberuf und nicht ohne Erfolg.
    «Sie ist erschossen worden.»
    «Ja, richtig.»
    «Aba wie kommt’n die hierher... von Friedenau?»
    «Nun, Friede now...» Volker Vogeley war so ziemlich am Ausflippen. Wieder mal zuviel Nordhäuser Doppelkorn.
    Ich ließ mich anstecken. «Wie kommt Kuhkacke aufs Dach. Lieblingsfrage meines Vaters.»
    «Könnta ma ernst sein!» mahnte Yaiza Teetzmann.
    Genau über unseren Köpfen donnerte die S-Bahn hinweg. Der Zug, der um 22 Uhr 20 Oranienburg verließ, um um 23 Uhr 48 in Wannsee zu sein. Wenn Luise Tschupsch in Friedenau wohnte, hatte sie sicherlich mit der S-Bahn nach Hause gewollt.
    «Wer hat sie denn gefunden?» fragte ich.
    «Wissen wa nich, ’n anonyma Anruf.»
    «Mysteriös.»
    «Nicht Miss Teriös, sondern ’n Mann.»
    Volker Vogeley war wieder groß in Form. Ich mußte ihn ein wenig bremsen. «Du bist nicht auf der Bühne heute abend.»
    «Die ganze Welt ist eine Bühne. Obwohl die ‹Weltbühne› ja eingegangen ist. »
    «Komm: die Eingeborenen befragen.»
    Wir schlugen uns die Nacht um die Ohren. Die Gegend war nur dünn besiedelt. Auf der Oranienburger Seite zumeist nur Lauben und eher dürftige Häuschen, dann Bahndämme, ein Sportplatz und heruntergekommene Gewerbegebiete, in Lehnitz ein bißchen mehr an Vorortbebauung. Aber niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Um halb drei Uhr morgens wußten wir nur, daß wir eigentlich noch gar nichts wußten.

4. Szene
Wohnung Luise Tschupsch
    Ich komme mir immer wie ein Einbrecher vor, wenn ich mich in der Wohnung eines Opfers aufhalte. Hier bei Luise Tschupsch war dieses Gefühl besonders ausgeprägt. Jeden Augenblick konnte die Tür aufgehen und sie vor mir stehen. Womöglich im schwarzen Négligé. So wie ich sie da in Oranienburg vor mir gesehen hatte, schien sie mir der Prototyp der lustigen Witwe zu sein, jener Frauen, die furchtbar einsam waren und
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