Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
Vom Netzwerk:
im Hunger nach Leben, Liebe und Sex durch die Kneipen zogen und ins «Café Keese» gingen. Noch einmal so richtig alles genießen, bevor Altersheim und Siechtum kamen. Andererseits... Luise Tschupsch war als Oberstudienrätin in Pension gegangen, Deutsch und Latein, und ihre Wohnung war erfüllt von Düsternis und Depression. Dunkel die Tapeten und Vorhänge, morbide die Bilder.
    Ich kniete auf dem Parkett, um ihre Bücher aufzuheben. Alles war durchwühlt. Jemand – ihr Mörder oder wer auch immer – mußte ihr nach der Tat die Schlüssel abgenommen haben und nach Berlin gefahren sein. Setzte man die Tatzeit zwischen 20 und 21 Uhr an, so die Angaben der Mediziner, dann konnte dieser Jemand – wenn es nicht mehrere Personen waren – kaum vor 21 Uhr 30 hier gewesen sein. Yaiza Teetzmann war schon unterwegs, die Hausbewohner zu befragen, unterstützt von einem Berliner Kollegen. Es handelte sich hier in der Spessartstraße um einen Neubau aus den fünfziger Jahren mit zehn zum Teil sehr geräumigen Eigentumswohnungen. Kaufpreis von 300000 DM an aufwärts, war mir gesagt worden. Nichts für gemeine Kriminalbeamte oder Leute, die Sozialhilfe empfingen.
    Ich fand das dunkelgrüne Notenbüchlein der Lehrerin und fing fast zu zittern an.
    ‹Mannhardt...?›
    ‹Ja...›
    ‹Inter arma silent leges...?›
    ‹Inter... zwischen...›
    ‹Sehr interessant, Herr Mannhardt, und weiter?)
    ‹Arma... arma...›
    ‹Sie Armer Sie!›
    ‹Arma... armare... lieben...›
    ‹O Gott, Mannhardt!›
    ‹Quatsch: amare...! Arma... werden die Waffen sein...›
    ‹Nun setzen Sie mal Ihre geistigen Waffen alle ein: Inter arma silent leges... Wie Cicero sagte.›
    ‹Die Waffen der Legionen ruhen.›
    ‹...sagte Mannhardt, Cicero hingegen meinte: Im Waffenlärm schweigen die Gesetze. – Setzen. Fünf!›
    Noch heute litt ich unter den Demütigungen meiner Lehrerinnen und Lehrer. Sie hatten immer nur das eine Ziel vor Augen: uns klein zu machen. Und der Tschupsch waren auch Sätze zuzutrauen, wie ich sie des öfteren gehört hatte.
    ‹Trösten Sie sich, Mannhardt, einen leichten Tod werden Sie wenigstens haben...›
    ‹Wieso, weil ich nach’m Abi nicht studiere, sondern zur Kripo will?›
    ‹Nein, weil Sie nicht viel Geist abzugeben haben.›
    Sicherlich, ich schämte mich meiner klammheimlichen Freude, daß es die Tschupsch getroffen hatte, aber dennoch...
    Ich begann, mich ein wenig in den beiden Zimmern umzusehen. Viele Bücher, Schallplatten, Ikonen und an den Wänden Drucke, alles irre Formen und Farben, von einem gewissen El Lissitzky. Nie gehört. Auf ihrem Schreibtisch lag viel Post. Interessierte mich alles nicht sonderlich. Bis auf eine Postkarte aus Moskau. Mit Ausnahme der Anschrift alles kyrillisch. Daneben der Tagesspiegel vom Wochenende. Mit einem Foto Schirinowskis. Nun ja.
    Yaiza Teetzmann kam zurück und brachte einen stadtbekannten Rechten angeschleppt, den Vorsitzenden der PNR, der «Partei der Nationalen Reinigung». Ich wußte, daß ich mich mit dem gutstellen mußte, damit sie mich verschonten, wenn das KZ Sachsenhausen wieder in Betrieb genommen wurde. Vielleicht wurde er bei einer schwarz-braunen Koalition mein nächster Chef. Republikanische Stadträte gab’s ja schon in diesem meinem Berlin – und keiner der sogenannten Demokraten in den Rathäusern war darauf von seinen Pfründen zurückgetreten. Fast hätte ich Volker Vogeleys neuestes Lied gesungen: ‹Völker der Welt, scheißt auf diese Stadt / Ich hab das Braune so satt, so satt!› Aber natürlich wußte ich genau, daß ich mich als Beamter politischer Zurückhaltung zu befleißigen hatte. Und jedem zu gehorchen, der gewählt wurde, also legal an die Macht gekommen war.
    «Mannhardt, Kripo Oranienburg», sagte ich mit der Sachlichkeit eines Nachrichtensprechers. «Aber an sich Berliner, nur zeitweilig abgeordnet.»
    «Ah, ein Abgeordneter also.»
    «Leider nicht. Statt fetter Diäten nur magere Diät, viel Quark am Morgen.»
    Yaiza Teetzmann fand an meiner Toleranzdarbietung wenig Gefallen. «Der Herr is hier, um uns wat Wichtiget mitzuteiln.»
    «Ja, etwas über eine ganz bestimmte Nebentätigkeit der Frau Tschupsch, die mit ihrer Ermordung in Zusammenhang stehen könnte.»
    Ich war ein wenig verwirrt. So wie der PNR-Mann das sagte, klang das, als wäre Luise Tschupsch trotz ihres vergleichsweise hohen Alters noch anschaffen gegangen. Genau das hatte ich ja gestern abend am Tatort auch gedacht. Andererseits, sie als Oberstudienrätin.
    «Stell
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher