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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Autoren: Cynthia Hand
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Sonne, ein Schatten legt sich über das Tal. Ganz plötzlich fühlt sich die Luft zehn Grad kälter an. Auf einmal bekomme ich Angst, dass nun nach meiner offiziellen Ankunft in Wyoming die Bäume in Flammen aufgehen werden und ich an Ort und Stelle meine Aufgabe erfüllen muss. So viel steht mir an diesem Ort bevor.
    «Mach dir keine Sorgen.» Mama legt mir die Hände auf die Schultern und drückt mich kurz. «Hier gehörst du hin, Clara.»
    «Ich weiß.» Ich versuche, ein tapferes Lächeln zustande zu bringen.
    «Und du», sagt sie und geht zu Jeffrey rüber, «wirst ganz begeistert von den vielen Sportangeboten hier sein. Skifahren und Wasserskifahren und Bergsteigen und alle möglichen anderen Extremsportarten. Du hast meine uneingeschränkte Erlaubnis, dich von Gott weiß wo runterzustürzen.»
    «Hab ich mir gedacht», brummelt er.
    «Na großartig», sagt sie sichtlich zufrieden. Sie macht schnell ein Foto von uns. Dann geht sie rasch zum Auto zurück. «Jetzt lasst uns fahren.»
    Ich folge ihr auf der Straße, die sich den Berg hinunterwindet. Ein weiteres Schild erregt meine Aufmerksamkeit. Achtung , heißt es da, enge Kurven voraus .

    Kurz vor der Ankunft biegen wir auf die Spring Gulch Road ein, eine weitere lange, kurvenreiche Straße, diesmal aber mit einem großen schmiedeeisernen Tor, das wir nur nach Angabe einer Codenummer passieren können. So bekomme ich eine erste Ahnung davon, dass unsere Unterkunft ziemlich vornehm sein wird. Die Ahnung bestätigt sich beim Anblick all der riesigen Holzhäuser, die ich halb unter Bäumen versteckt erblicke. Ich folge Mamas Wagen, als sie auf eine frisch angelegte Auffahrt abbiegt und langsam durch einen Wald aus Drehkiefern, Birken und Espen fährt, bis wir zu einer Lichtung kommen, wo auf einer kleinen Erhebung unser neues Haus steht.
    «Mein Gott», keuche ich und schaue durch die Windschutzscheibe zum Haus hinauf. «Guck mal, Jeffrey.»
    Das Haus ist aus massiven Holzstämmen und Flusskieselstein gebaut, und das Dach trägt eine dicke Decke aus reinem weißem Schnee, wie man sie von Pfefferkuchenhäusern kennt, umso vollkommener durch einige silbern schimmernde Eiszapfen, die an den Ecken herunterhängen. Es ist größer als unser Haus in Kalifornien, aber irgendwie gemütlicher; es gibt eine überdachte, langgestreckte Veranda und riesige Fenster, die eine Aussicht auf den unglaublich spektakulären Anblick der schneebedeckten Bergkette gewähren.
    «Willkommen zu Hause», sagt Mama. Sie lehnt sich an ihr Auto und genießt unsere Verblüffung, als wir auf die kreisförmige Auffahrt treten. Sie ist so stolz, dieses Haus gefunden zu haben, dass sie beinahe anfängt zu singen. «Unser nächster Nachbar ist fast eine Meile weit entfernt. Dieses Wäldchen gehört ganz allein uns.»
    Ein leichter Wind fährt durch die Bäume, sodass kleine Schneewolken durch die Zweige nach unten gleiten, als befände sich unser Haus in einer Schneekugel, die auf einem Kaminsims steht. Hier fühlt sich die Luft wärmer an. Es ist vollkommen still. Ein wohliges Gefühl durchströmt mich.
    Das ist zu Hause, denke ich, hier sind wir sicher. Eine Riesenerleichterung für mich, denn nach all den Wochen voller Visionen, Aufregungen und Sorgen, nach all der Unsicherheit, die der Umzug mit sich bringt, und dem komischen Gefühl, das bleibt, wenn man alles zurücklassen muss, kurz: nach dem ganzen Irrsinn kann ich mir endlich ein richtiges Leben in Wyoming vorstellen, anstatt lediglich zu sehen, wie ich in ein Feuer schreite.
    Ich schaue zu Mama rüber. Sie leuchtet buchstäblich, wird von Sekunde zu Sekunde immer heller, ein leises, vibrierendes Summen engelhaften Vergnügens kommt aus ihr. Jeden Moment werden wir ihre Flügel sehen können.
    Jeffrey räuspert sich. Der Anblick ist noch so neu für uns, dass es ihn jedes Mal aus der Fassung bringt.
    «Mama», sagt er. «Du machst wieder diese Sache mit dem Leuchten.»
    Ihr Glänzen wird schwächer.
    «Na und, was soll’s?», frage ich. «Sieht doch keiner, es ist doch keiner hier. Hier können wir ganz wir selbst sein.»
    «Ja», sagt Mama leise. «Tatsächlich wäre das kleine Gärtchen hinten ideal für ein paar Flugübungen.»
    Bestürzt starre ich sie an. Genau zwei Mal hat Mama versucht, mir das Fliegen beizubringen, und beide Male endete es katastrophal. Im Grunde habe ich den Gedanken ans Fliegen komplett aufgegeben und die Tatsache akzeptiert, dass ich ein an die Erde gebundenes Engelblut bleiben werde, ein flugunfähiger Vogel
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