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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Autoren: Cynthia Hand
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den Raum.
    «Hallo, Papa», sage ich ins Telefon.
    «Hallo.»
    Es entsteht eine Pause. Drei kleine Worte haben wir gerade miteinander gesprochen, und schon fällt ihm nichts mehr ein.
    «Was gibt’s?»
    Das Schweigen hält an. Ich seufze. Jahrelang habe ich geübt, um ihm zu sagen, wie wütend ich auf ihn bin, weil er Mama verlassen hat. Ich war drei, als die beiden sich trennten. An Streit kann ich mich nicht erinnern. Alles, was ich von damals noch weiß, sind kurze einzelne Szenen. Eine Geburtstagsparty. Ein Nachmittag am Strand. Er, wie er am Waschbecken steht und sich rasiert. Und dann ist da die brutale Erinnerung an den Tag, an dem er ging; ich stand mit Mama in der Auffahrt, sie hatte Jeffrey auf dem Arm und weinte herzzerreißend, als er wegfuhr. Das kann ich ihm nicht verzeihen. Viele Dinge kann ich ihm nicht verzeihen. Dass er ans andere Ende des Landes fuhr, um so weit wie möglich von uns wegzukommen. Dass er viel zu selten angerufen hat. Und dass er nie wusste, was er sagen soll, wenn er dann mal anrief. Aber am schlimmsten ist für mich noch immer die Art, wie es in Mamas Gesicht zuckt, wenn sie seinen Namen hört.
    Über das, was zwischen den beiden passiert ist, will Mama genauso wenig reden wie über ihre Aufgabe. Aber eines weiß ich ganz sicher: Meine Mutter kommt der idealen Frau so nahe, wie es nur sein kann. Schließlich ist sie ein halber Engel, auch wenn mein Vater das nicht weiß. Sie ist wunderschön. Sie ist klug und lustig. Sie ist die reinste Magie. Und er hat sie aufgegeben. Er hat uns alle aufgegeben.
    Und damit ist er für mich ein Dummkopf.
    «Ich wollte nur mal hören, ob mit dir alles in Ordnung ist», sagt er schließlich.
    «Wieso sollte nicht alles in Ordnung sein?»
    Er hustet.
    «Ich meine ja bloß. Es ist doch sicher ganz schön schwer, ein Teenager zu sein, oder nicht? Die Highschool. Jungs.»
    Jetzt ist dieses Gespräch nicht mehr nur ungewöhnlich, es ist merkwürdig geworden.
    «Klar», antworte ich. «Stimmt, ganz schön schwer.»
    «Deine Mutter sagt, deine Noten sind gut.»
    «Du hast mit Mama gesprochen?»
    Ein weiteres Schweigen.
    «Und, wie steht’s in New York?», frage ich, um die Unterhaltung von mir abzulenken.
    «Das Übliche. Helle Lichter. Große Stadt. Gestern habe ich Derek Jeter im Central Park gesehen. Ziemlich schreckliches Leben.»
    Er kann auch richtig nett sein. Eigentlich will ich wütend auf ihn sein, ihm sagen, dass er sich gar nicht erst die Mühe machen soll, Kontakt zu mir zu halten, aber das halte ich einfach nicht durch. Das letzte Mal habe ich ihn vor zwei Jahren gesehen, in dem Sommer, als ich vierzehn wurde. Meine große Ich-hasse-dich-Rede hatte ich zigmal geübt, am Flugplatz, im Flugzeug, beim Aussteigen, in der Ankunftshalle. Und dann sah ich ihn bei der Gepäckausgabe auf mich warten und wurde von diesem seltsamen Glücksgefühl ergriffen. Ich fiel ihm in die Arme und sagte ihm, dass ich ihn vermisst hätte.
    «Ich hab mir da was überlegt», sagt er jetzt. «Vielleicht könntest du mit Jeffrey über die Ferien nach New York kommen.»
    Sein Timing ist super. Fast muss ich lachen.
    «Würde ich ja gern», antworte ich, «aber irgendwie passiert hier gerade was ganz Wichtiges.»
    So etwas wie die Suche nach einem Waldbrand. Was der eigentliche Grund ist, weshalb ich auf der Erde bin. Was ich ihm auch in tausend Jahren nicht werde erklären können.
    Er sagt nichts.
    «Tut mir leid», sage ich, und ich bin richtig erschrocken, als ich merke, dass ich das sogar meine. «Ich sag dir Bescheid, wenn sich was ändert.»
    «Deine Mutter hat mir erzählt, dass du die Führerscheinprüfung bestanden hast.» Er will das Thema wechseln, das ist ganz offensichtlich.
    «Ja, ich hab die Prüfung gemacht, hab eingeparkt und alles. Ich bin sechzehn. Ich darf jetzt offiziell Auto fahren. Leider will Mama den Wagen nicht rausrücken.»
    «Wie wäre es, wenn wir dir ein eigenes Auto kaufen?»
    Ich kriege den Mund nicht mehr zu. Er steckt eben voller Überraschungen.
    Und dann rieche ich den Rauch.
    Diesmal muss das Feuer weiter weg sein. Sehen kann ich es nicht. Auch den Jungen kann ich nicht sehen. Mein Haar, das ich zum Pferdeschwanz gebunden habe, wird von einem heißen, rußigen Windstoß völlig zerzaust. Ich huste, drehe mich von der Gluthitze weg und streiche mir das Haar aus dem Gesicht.
    Da sehe ich den silbernen Pick-up nur ein paar Schritte von mir entfernt am Rand einer unbefestigten Straße. AVALANCHE steht in silbernen Buchstaben am Heck
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