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Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)

Titel: Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Autoren: Lee Child
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Drohung. Oder ein Bluff. Aber sie weiß es nicht genau. Angezogen ist sie wie fürs Büro. Schwarze Hose, weiße Bluse. Sie ist zu einer unbekannten Aktion in der großen bösen Stadt unterwegs. Sie ist eine selbstständige Frau, sie lebt in Virginia, sie geht seit Jahren mit Militär um. Also nimmt sie ihren Revolver mit. Er steckt vermutlich noch in der Socke, in der sie ihn in der Schublade aufbewahrt. Sie wirft ihn in ihre Umhängetasche und verlässt das Haus. Sie gerät in einen Stau. Sie telefoniert, um sich zu entschuldigen. Vielleicht wird sie von den Hoths angerufen. Sie wollen nicht zuhören. Sie sind fanatisch und Ausländerinnen. Sie verstehen nichts. Sie halten die Sache mit dem Stau für eine dumme Ausrede.«
    »Dann bekommt sie um Mitternacht eine Nachricht.«
    »Und sie verändert sich. Der springende Punkt ist, dass sie dafür Zeit hat. Sie steckt im Stau fest. Sie kann nicht durchstarten. Sie kann nicht zu den Cops laufen. Sie kann nicht mit hundert Sachen gegen einen Brückenpfeiler rasen. Sie ist gefangen. Sie muss dasitzen und nachdenken. Keine Alternative. Und sie gelangt zu einem Entschluss. Sie wird ihren Sohn rächen. Sie macht einen Plan. Sie zieht den Revolver aus der Socke. Starrt ihn an. Sie sieht ihre alte schwarze Daunenjacke auf dem Rücksitz liegen. Vielleicht liegt sie seit letztem Winter dort. Sie braucht dunkle Kleidung. Sie zieht die Jacke an. Irgendwann löst der Stau sich auf. Sie fährt nach New York weiter.«
    »Und verhält sich in der U-Bahn so auffällig, dass du sie für eine Selbstmordattentäterin hältst.«
    »Sie war ein normaler Mensch. Vielleicht lösen Vorbereitungen für die Ermordung eines anderen die gleichen Emotionen aus, als bereitete man sich auf einen Selbstmord vor. Genau das hat sie getan. Sie war zu dieser Ebene unterwegs. Aber sie war noch nicht ganz dort. Ich habe sie zu früh gestört. Also hat sie aufgegeben und den anderen Ausweg gewählt. Vielleicht wäre sie bis zur 59th Street wieder zur Besinnung gekommen.«
    »Besser, dass ihr dieser Kampf erspart geblieben ist.«
    »Vielleicht hätte sie ihn gewonnen. Lila hätte nicht damit gerechnet, dass sie eine Waffe ziehen würde. Das Überraschungsmoment wäre auf ihrer Seite gewesen.«
    »Sie hatte einen Revolver mit sechs Schuss. Die anderen hatten zweiundzwanzig.«
    Ich nickte. »Sie wäre umgekommen, klar. Aber vielleicht wäre sie zufrieden gestorben.«
    Einen Tag später besuchte Theresa Lee mich im Hotel. Sie erzählte mir, Sansom habe an der I-95 einen ungefähr eine Meile langen wahrscheinlichen Bereich festgelegt, den die Autobahnmeisterei mit orangeroten Leitkegeln abgesperrt habe. Nach dreistündiger Suche hatten sie Susans Handy gefunden. Nur Sekunden später wurde kaum einen Meter entfernt der USB -Stick entdeckt.
    Er war überfahren worden. Er war völlig zerquetscht. Er ließ sich nicht mehr auslesen.
    Am nächsten Tag verließ ich New York. Ich zog nach Süden. Die folgenden zwei Wochen verbrachte ich größtenteils damit, mir vorzustellen, was das Foto gezeigt haben mochte. Ich stellte alle möglichen Spekulationen an, die von Verstößen gegen die Scharia bis zum vertrauten Umgang mit Haustieren reichten. Mit diesen ausgedachten grässlichen Szenarien aus dem Zelt im Korengaltal wechselten sich lebhafte Erinnerungen daran ab, wie ich Lila Hoth im Gesicht getroffen hatte. Die linke Gerade, das Knirschen von Knorpel und Knochen unter meiner Faust. Das ruinierte Aussehen. Vor meinem inneren Auge lief diese Episode immer wieder ab. Ich wusste nicht, warum. Ich hatte sie mit dem Messer verletzt und später erwürgt, aber daran konnte ich mich kaum noch erinnern. Vielleicht widersprach es meinen unterschwelligen Wertvorstellungen, eine Frau zu schlagen. Was gänzlich unlogisch war.
    Allmählich verblassten die Bilder jedoch, und es langweilte mich, mir Osama bin Laden im Umgang mit Ziegen vorzustellen. Inzwischen war ein Monat vergangen. Meine Wunde war sehr gut verheilt, die Narbe schmal und weiß. Die Stiche wirkten klein und ordentlich. Mein Unterleib sah wie eine Illustration in einem Lehrbuch aus: hier eine mustergültige Naht, dort ein abschreckendes Beispiel. Aber ich vergaß nie, dass diese ersten unbeholfenen Stiche meine Rettung gewesen waren. So hatte der Kreis sich endlich geschlossen. Ein positives Vermächtnis, eine Folge der Autobombe in Beirut, die von Unbekannten zum Einsatz gebracht worden war.
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