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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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die Luger hoch. Nicht, dachte er, nicht so, nicht hier, nicht so sinnlos, so allein. Bilder schossen ihm durch den Kopf, Fetzen von Bildern jagten vorbei und erloschen wie Leuchtspurgeschosse. Dann, von einer Sekunde auf die andere, verlangsamten sich die Bilder, wurden zu einem trägen Fluss, einem gedehnten Zeitbild, zu den quälend langsam auftauchenden Worten, nicht hier, nicht jetzt, nicht so .
    Keo sprang zurück, scharf keuchend wie ein verwirrtes wildes Tier. Seine Hände waren leer. Van Leeuwen begriff, dass ihm die Axt aus der Faust geprellt worden war.
    »Es ist zu Ende«, sagte er.
    Der Junge zögerte, starrte auf die Pistole. Seine Hand tastete nach dem messerscharfen Bambussplint im Gürtel seines Lendenschurzes. Doch statt ihn zu ziehen, drehte er sich um und hetzte in großen Sprüngen davon.
    »Bleib stehen !«, rief der Commissaris, aber der Junge rannte weiter, zur Mündung der Gasse, auf die Gracht zu. Van Leeuwen sahgerade noch, wie Keo am Ende der Gasse zwischen den Zuschauern der Bootsparade verschwand. Er hörte Schreie, sah Menschen auseinanderspritzen und wegrennen. Er begann zu laufen, getrieben von einer unheilvollen Ahnung, dem Gefühl drohenden Schreckens.
    Die Luger in der rechten Hand, stürzte der Commissaris dem Jungen nach, erreichte die Gracht, drängte sich rücksichtslos durch die Menge. »Polizei !«, brüllte er. »Platz da ! Polizei !«
    Ein Stück weit vor sich entdeckte er die Bewegung, die er suchte, einen weißen Schatten auf der Flucht. Er rannte weiter, schob und stieß, bis die Menschen ihm auswichen und ihn vorbeiließen. Keo verharrte auf der Kaimauer, blickte sich um, nach rechts, nach links. Dann sprang er, und Van Leeuwen sah ihn springen, geschmeidig, er sprang und landete auf dem Deck eines Hausboots. Unbemerkt von den Leuten auf dem Boot rannte Keo über die Decksplanken. Er sprang über eine leere Hängematte, schlüpfte unter einer Wäscheleine durch, schlängelte sich durch ein paar Topfpflanzen.
    Van Leeuwen sah die Silhouette, klein und weiß, im flackernden Licht des Feuerwerks über das Boot huschen und auf das Dach klettern, aber gerade, als er selbst das Boot erreicht hatte, nahm Keo Anlauf und sprang wieder, setzte vom Bug des Kahns auf das Heck des nächsten, und auch dort bemerkte ihn niemand, alle starrten zu den bunt geschmückten Booten der Pride Parade mit den dröhnenden Musikanlagen an Bord.
    Van Leeuwen lief an der Kaimauer entlang, wich den Ulmen aus, den Bänken, den Schaulustigen, und er sah Keo springen und wieder springen, von Boot zu Boot, und die Reihe der Hausboote an der Gracht war unendlich, und er dachte, dass er den Jungen verlieren würde, wenn er am Ufer blieb, und das wollte er nicht, er wollte es zu Ende bringen, von diesem Jungen wollte er sich nicht abhängen lassen wie damals von Deniz, ich muss es zu Ende bringen, ich muss es zu Ende bringen, ich muss –
    Er polterte über einen schmalen Holzsteg. Die Boote sahen groß aus, wenn man sie vom Ufer aus betrachtete, aber sie waren klein und schmal, sobald man sie betrat, alles war klein und schmal, und Van Leeuwen rannte an der niedrigen Reling entlang, und auch umihn kümmerte sich niemand an diesem ausgelassenen Abend, nicht einmal um die Pistole in seiner Hand. Mit der Linken versuchte er, sich vor Hindernissen zu schützen, die er erst zu spät sah, vor straff gespannten Leinen, flatternden Wimpeln, Elektrokabeln, scharfblättrigen Pflanzen.
    Er erreichte den Bug, von dem Keo sich mit seinem Sprung gelöst hatte, nahm Anlauf und sprang ebenfalls, warf sich vorwärts, ohne zu überlegen, und es ging, er landete schwer, aber sicher auf dem nächsten Boot. Keuchend lief er weiter, stolperte über Kisten und Blumenkästen, stieß Liegestühle um und riss Wäscheleinen herunter, jetzt, dachte er, jetzt bin ich der Jäger. Aber seine Beute war schnell und geschickt, der Abstand zwischen ihnen wuchs mit jedem Sprung von Boot zu Boot. Die kleine, muskulöse Gestalt flog fast durch die Nacht, und auch Van Leeuwen sprang wieder, doch dann stolperte er und rutschte aus, glitt über glitschige Planken, kroch auf Händen und Füßen. Er rappelte sich wieder hoch und lief weiter, rannte, was seine erschöpften Beine hergaben, hechelnd und fluchend. Der Schweiß spritzte von seinem Körper wie Schaum von den Flanken eines erbarmungslos geschundenen Pferdes.
    Die Boote schwankten. Die Decksplanken rückten näher heran, dann schienen sie sich wieder zu entfernen. Die Aufbauten standen
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