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Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld

Titel: Und vergib uns unsere Schuld - Und vergib uns unsere Schuld
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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Professor. »Sie haben sie in eine Klinik bringen müssen, habe ich gehört.«
    Van Leeuwen spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss und sein Hals anschwoll. Die Luger fiel ihm ein, draußen im Dienstwagen, in der Tasche seines Trenchcoats. Er sah Simone in ihrem Klinikbett. Er dachte, dass Keo vielleicht gar nicht im Haus war, nicht mehr, sondern unterwegs in die Stadt. Plötzlich hatte er wieder Angst. Er sprang auf und rannte fast in die Diele.
    »Sehen Sie, Commissaris, die Steinzeit hat nicht nur auf Neuguinea überlebt«, sagte Pieters leise, »sondern auch in uns.«

 33 
    Van Leeuwen hörte die Musik, bevor er die Menschen sah, und dann sah er die Lichter und etwas später das Feuerwerk über den Bäumen. Die Menschen standen an der Prinsengracht, auf der ein Corso großer Boote langsam dahintuckerte. Die Boote waren mit bunten Luftballons und Lampions geschmückt, und an Bord drängten sich Männer und Frauen jeden Alters und setzten sich für die Zuschauer auf den Brücken und Kaimauern in Szene.
    Die Männer und Frauen trugen Phantasiekostüme mit Federn und Strapsen oder Lederuniformen oder knappe Tangas, glitzernden Flitter und Goldfarbe auf Muskeln und Haut, silbernes Makeup. Einige tanzten in träger Sinnlichkeit zu der Musik, die aus den großen Lautsprecherboxen auf den Decks dröhnte. Andere umarmten sich, lachten, winkten und warfen Handküsse in die Menschenmenge am Ufer.
    Van Leeuwen hatte den Wagen zurückgelassen, als er merkte,dass er nicht weiterkam, und jetzt schob er sich zu Fuß durch das Gedränge. Er hatte auch den Trenchcoat im Wagen zurückgelassen, aber nicht die Luger. Die Pistole steckte in seinem Hosenbund, links unter dem zugeknöpften Sakko. Er ging langsam, hielt Ausschau nach dem Jungen. Er sah ihn nicht, aber er wusste, dass er da war, irgendwo unter den Schaulustigen.
    Menschenströme säumten den Kanal und verstopften die schmalen Gassen. Viele der Zuschauer waren genauso verkleidet wie die Männer und Frauen in der Parade, und auch auf den Hausbooten an den Kaimauern oder zwischen den Ulmen am Ufer wurde getanzt.
    Die ganze Zeit während der Fahrt in die Stadt hatte Van Leeuwen sein Herz schlagen gespürt, schnell und zornig. Er hatte Keo und seine Vespa nicht entdeckt, aber er wusste, dass der Junge nie weit weg gewesen war. Einmal hatte er geglaubt, Pieters’ Rover im Rückspiegel zu sehen. Er hatte Gallo angerufen und dafür gesorgt, dass zwei Agenten in die Klinik geschickt wurden, um Simones Zimmer zu bewachen.
    Er dachte, er wäre der Jäger, aber vielleicht war er der Gejagte.
    Er sah in jedes Gesicht, das vorbeitrieb. Er spürte, dass er beobachtet wurde. Die laut aufgedrehten Bässe trafen auf seine Brust wie Fäuste. Rechts und links der Gracht stiegen Feuerwerkskörper in den Nachthimmel, wo sie zu Kaskaden grüner und blutroter Funken zerplatzten. Katharinenräder tauchten die Giebel der Häuser in blassblaue Helligkeit. Raketen flogen mit heulenden Flammenschweifen durch die Luft, bevor sie goldschimmernden Regen auf die Dächer gossen. Die Lichtfontänen am tiefvioletten Himmel überschütteten die Gesichter der Menge mit flüchtigen Schauern von Purpur, Türkis, Honig und Orange. Die Glut explodierender Knallfrösche und weiß zischender Lunten spiegelte sich auf dem Wasser der Gracht.
    Van Leeuwen näherte sich der Klinik. Er entdeckte einen Mann im Gewühl, einen Mann in einer eierschalenfarbenen Leinenhose, der jedoch verschwand, kaum dass der Commissaris ihn wahrgenommen hatte. Er spürte, dass er angerempelt wurde, aber er achtete nicht darauf. Er hörte die Musik und lautes Lachen und diekrachenden Feuerwerkskörper, und er schob sich weiter durch die Menge, hielt Ausschau nach Keo, nach Pieters in seinem Leinenanzug. Aber es gab viele Männer in hellen Anzügen und viele dunkle Gestalten mit weiß bemalten Gesichtern, die auftauchten und wieder verschwanden vor der verwischten Kulisse aus Feuer und wirbelnden Lichtern.
    Über Van Leeuwens Kopf explodierten die Raketen jetzt schnell hintereinander. Ihre Kometenschweife kreuzten sich, und die zerplatzten Hüllen fielen vom Himmel wie verglühender Regen. Das Hämmern der Trommeln und das Wummern der Bässe erreichte einen neuen Höhepunkt, als wieder ein Boot auf dem Wasser vorbeiglitt.
    Plötzlich vernahm der Commissaris hinter sich einen Laut, ein Geräusch, das zu leise war, als dass er es wirklich hören konnte. Er spürte es mehr. Es zog sich über seinen Nacken wie ein Schnitt mit einer
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