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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman
Autoren: Heyne
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eine Weile, ehe es dem Philologen gelang, seine Erregung so weit zu beherrschen, dass er Auskunft zu geben vermochte, allerdings abgehackt, immer noch in den Klauen des Grauens. »Sie ist weg, Prosperino, sie ist weg, unsere Principessa ist verschwunden.«
    Tränen rannen über sein hohles Gesicht, das - von Natur aus schon schmal und vergeistigt - unter dem Druck der Ereignisse eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Totenschädel angenommen hatte. Er brauchte Zeit, ehe er weitersprechen konnte: »Vom Erdboden verschluckt! Der Vater
hat mir doch unsere Cäcilia anvertraut, weil sie Rom kennenlernen wollte. Und ich Unglücksmensch habe mich von dem unvernünftigen Ding überreden lassen, mit ihr zum Karneval zu gehen. Gestern wurden wir beim Corso getrennt. Seitdem suche ich sie...«
    Und dann entlud sich seine ganze Angst in einem Aufschrei: »... und ich bin unfähig, sie zu finden!« Er klagte sich mit einem Selbsthass an, der Prospero erschütterte. Velloni ballte seine Fäuste, dass die Adern wie Wurzeln aus den Handrücken traten. »Verstehst du, ich habe sie durch meine Eitelkeit verloren, und ich finde sie nicht, ich finde sie einfach nicht. Das ist die Strafe dafür, dass ich mehr als Gott sein wollte, dass ich mich überhoben habe... die Strafe für meinen Frevel... Ich wollte Platon sein, und jetzt bin ich Kain!«
    »Ruhig, ruhig mein Freund«, beschwor ihn Prospero. »Vielleicht ist sie ja inzwischen schon wieder bei dir zu Hause und schläft den Schlaf der Gerechten.«
    Velloni machte sich los, trat ein paar Schritte zurück, schaute den Hilfsauditor feindselig an und schüttelte wild den Kopf. »Was redest du? Meine Wirtin wartet in der Wohnung auf sie, und ich gehe alle drei Stunden in der Hoffnung hin, dass sie zurückgekehrt ist. Nein, es ist ihr etwas widerfahren, ich fühle es, etwas Schreckliches! Gottes Strafe!«
    Dann ging er wieder auf Prospero zu und packte ihn schmerzhaft bei den Handgelenken. »Ich bin verantwortlich für sie. Ich sollte doch meiner Schwester Hüter sein. Meine Sorglosigkeit hat sie in Gefahr gebracht, vielleicht sogar getötet. Ich bin schuld, ich allein. Sie ist doch unser ein und alles, sie ist doch unsere Principessa!«
    Er ließ Prosperos Arme los, fiel auf die Knie, warf die
Hände gen Himmel und heulte hemmungslos wie ein Kind. »Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! Kratze hinweg vom Erdboden, Allmächtiger, alles, alles, was von mir und meiner Schande existiert! Ich, der schlimmste Sünder von allen. Kratze mich vom Antlitz der Erde wie eine Warze...«

5.
    D er Mann braucht erstmal eine kräftige Rinderbrühe, bevor er uns hier völlig durchdreht!«, entschied Caprara. »Er ist übernächtigt und vollkommen hysterisch.«
    Und da Gioacchinos Ristorante La Grassa sich in der Nähe befand, führten die beiden Männer den unglücklichen Philologen, der ihnen erschöpft und willenlos folgte, zum Gasthof ihres Landsmannes. Im La Grassa wurde die beste Bologneser Küche weit und breit angeboten.
    Sie wussten, dass Gioacchino zwar seine Wirtschaft während des Karnevals geschlossen hielt, weil er es nicht ausstehen konnte, wenn erwachsene Menschen zu Narren wurden, aber selbstverständlich war die Familie zu Hause, und es wurde gekocht.
    Caprara trommelte an die verschlossene Tür, bis Pepe, Gioacchinos treuer Diener, mit einem Rapier in der Hand finsteren Blickes öffnete.
    »Signori«, begrüßte sie der schweigsame Katalane, dessen Miene sich beim Anblick der Freunde des Hauses etwas aufhellte. Hinter dem hageren Diener kam nun die rundliche Gestalt seines neugierigen Herrn zum Vorschein, der sie mit einem herzlichen Lächeln begrüßte. »Ah, meine guten Freunde. Habt ihr die Dummköpfe draußen in ihren albernen Verkleidungen gesehen? Als ob die Welt nicht auch so schon närrisch genug wäre! Mit Humor hat das jedenfalls nichts zu tun. Man muss wahrhaft Mitleid mit ihnen haben, denn der ganze Mummenschanz ist nur die bedauerliche Folge einer verfehlten Ernährung. Alle Krankheiten des Kopfes beginnen nämlich im Magen! Deshalb ist auch der gute Koch der beste Arzt. Denn das, was durch die Windungen des Gehirns
geht, ist nur die Seele von dem, was durch die Gedärme flitzt. Die Leute fressen sich nämlich dumm und...«
    »Halt, halt, guter Freund! Halt ein!«, bremste Caprara den Redefluss des Wirtes und wies auf Velloni. »Gib dem armen Kerl erstmal eine kräftige Rinderbrühe! Er hat es bitter nötig, du Heilkundiger der Kochtöpfe und Pfannen.«
    »Gleich, gleich.«
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