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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman
Autoren: Heyne
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bestrafte damals das Volk von Rom die Juden der Stadt alljährlich dafür, dass ihre Vorfahren einst den Erlöser ans Kreuz gebracht hatten. Der Papst hatte eingedenk der stets klammen Kassen das unwürdige Zwangsrennen, das zudem schlecht zu den Grundsätzen der christlichen
Nächstenliebe passte, in eine jährliche Zwangsabgabe der jüdischen Gemeinden an die Stadtkasse umgewandelt. Das Volk trauerte natürlich der weit vergnüglicheren Form der Buße immer noch heftig nach.
    Prospero schritt jetzt unter dem Portico hindurch und betrat das jüdische Viertel. Er hatte das Ghetto vor einem dreiviertel Jahr besser kennengelernt, als es ihm lieb sein durfte, doch jetzt wirkte es fremd und verändert, als hätte ein böser Zauberer das ganze bunte, wirbelnde Leben entfernt, das ansonsten zwischen den Häusern toste. Die Hauptstraße des Viertels, die Via Rua, lag wie ausgestorben vor ihm. Die Geschäfte waren geschlossen und die Fenster mit Brettern und Balken gesichert. Er hatte das Gefühl, eine Geisterstadt zu betreten, auch wenn ihm klar war, dass hinter den alten Mauern Wachsamkeit herrschte. Man konnte schließlich nicht wissen, ob die christlichen Narren nicht auf den Einfall kommen würden, den Juden einen Besuch abzustatten, weil sie das »Judenlaufen« so sehr vermissten.
    Als er am Haus des Rabbiners Tranquillo Vita Corcos vorbeiging, krampfte sich ihm unwillkürlich das Herz im Leib zusammen. Hinter diesen Wänden, wenige Schritte von ihm entfernt, saß Deborah jetzt gerade und las oder bereitete das Abendessen vor, stritt mit ihrem Bruder oder unterhielt sich vielleicht mit Gästen. Er glaubte, ihr Lachen hören zu können. Wie gern hätte er jetzt an ihre Tür geklopft, in ihre großen Augen geblickt, die voller Schalk jede vorgefasste Meinung über die Welt mit Spott straften, aber es konnte, es durfte nicht sein. Prospero hatte wirklich alles Denkbare unternommen, um sich diese Liebe aus dem Herzen zu reißen. Er hatte bis zum Umfallen geschuftet, er hatte gebetet und Buße getan, sich sogar einmal gegeißelt,
zumindest ein bisschen. Vergebens. Jeden Tag wachte er mit der schmerzlichen Sehnsucht nach ihr auf, nach ihrer sanften, und dennoch eindringlichen Stimme, ihrem weichen Haar, ihrem Duft, ihrer Klugheit, jeden verdammten, geheiligten Tag. Und an jedem Morgen ging er unmittelbar nach Sonnenaufgang in die Kirche Santa Maria in Trastevere, dorthin, wo er vor einem dreiviertel Jahr zum Priester geweiht worden war, wo sie sich zum letzten Mal gesehen und Abschied voneinander genommen hatten. In der alten Kirche feierte er allmorgendlich die Laudes, tat Buße für das Feuer in seinen Adern, das unvermindert loderte, und flehte den Herrn an, ihm endlich Vergessen und Ruhe zu schenken. Aber mit dem Vergessen war es so eine Sache, umso mehr man es herbeiwünschte, umso spröder zeigte es sich.
    Er konnte sich ja nicht einmal dazu durchringen, den Rubin, den sie ihm geschenkt hatte und den er seit diesem Tag an einer Kette um den Hals trug, abzulegen. Alles, was er übers Herz brachte, war, seinen Schritt zu beschleunigen, um schnell ihr Haus hinter sich zu lassen, bevor er den Kampf gegen sich selbst verlieren und doch noch anklopfen würde. Wenn sie jetzt wegen eines dummen Zufalls oder weil sie spürte oder sah, dass er vorbeilief, auf die Straße träte oder ihm entgegenkäme, wüsste er nicht, was er täte. Er fürchtete diesen Zufall und hoffte zugleich auf ihn.
    Sie war für ihn unerreichbar: Weder hier auf Erden konnten sie zusammen sein, noch würden sie sich in der Ewigkeit nach dem Tod wiederbegegnen. Nicht einmal im Himmel durfte er darauf hoffen, mit der Tochter des Rabbiners ein Wiedersehen zu feiern, denn dort, wo seine Seele nach dem Tode weilen würde, verwehrte man ihrer den Zutritt. Ohne das Sakrament der Taufe blieben die Tore des Paradieses
verschlossen. Dort, wo für ihn die Glocken des Himmels klangen, schwiegen die jüdischen Zimbeln. Deshalb fragte er sich oft, wo sich Deborahs Seele dereinst in der Ewigkeit einfinden würde? Im Fegefeuer vielleicht? Der Vorhölle, wie Dante meinte? Oder gar in der Hölle? Der Gedanke kam ihm absurd vor. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass gute Menschen wie der Rabbiner oder Deborah im Inferno schmoren müssten, während ein verbrecherischer Pontifex wie der Borgiapapst im Himmel residieren dürfte. Das konnte nicht Gottes Gerechtigkeit sein! Existierte womöglich ein Himmel für die Christen und ein anderer für die Juden? Und
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