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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman
Autoren: Heyne
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Tragödie, deren vorausgegangene Aufzüge er verpasst hatte. Was war mit seinem Freund geschehen? Was hatte ihn nur in diese Lage gebracht? So hatte er ihn in den vielen Jahren, die sie sich inzwischen kannten, noch nie gesehen. Eins jedoch sprang ihm überdeutlich ins Auge: Nichts, was der Poppolo Velloni antun könnte, keine Qual schien in dessen Vorstellung größer zu sein, als die Schmerzen, die er im Augenblick litt. Er hoffte auf Erlösung und hatte sich selbst bereits verurteilt. Nun bat er nur noch um die Vollstreckung des Urteils.
    Zum ersten Mal in seinem Leben verstand der Hilfsauditor das Sprachbild, dass jemand »außer sich« sei. Ja, der Freund war außer sich. Die Augen, mit denen er für gewöhnlich alte Handschriften entzifferte, hatten alle Ruhe verloren und stierten irre. Der schmächtige Körper zitterte, nicht aber vor Angst, sondern aus Todessehnsucht. Gleich würde er sich auf einen der Umstehenden stürzen, um dann endlich aus dem Leben geprügelt zu werden.
    »Velloni!«, brüllte Prospero mit ganzer Kraft, in der Hoffnung, zu dessen Verstande vorzudringen. Die Aufmerksamkeit der Menge wandte sich von ihrem Opfer ab und richtete sich mit der gleichen Feindseligkeit auf die beiden Priester. Aber Prosperos Schrei schien sich den Weg in das Unterbewusstsein des Freundes gebahnt zu haben. Velloni hielt nämlich plötzlich inne und schaute fragend zu Prospero Lambertini, wie ein Kind, das aus einem Alptraum gerissen wurde und nicht wusste, wo es sich befand.
    Die Narren allerdings verteidigten ihren Spaß. Sie waren nicht gewillt, ihn aufzugeben. Schließlich hatten sie
das perfekte Opfer gefunden. Schon stichelte einer: »Hat der Priester etwa auch eine Schwester?«
    »Eine junge, eine knackige, geil wie eine läufige Hündin?!«
    »Nein, das nicht, aber Arschbacken hat er wie meine Schwester«, höhnte das Wiesel.
    Der Hilfsauditor ging gelassen auf den Schreier zu. »Ketzer erkenne ich selbst durch die dickste Maske hindurch!«
    Mit diesen Worten riss er dem Kerl die Larve herunter. Ein fades Gesicht mit rötlichem Teint und mit eng stehenden wässrigen Augen kam zum Vorschein. Kleine Pickel im Wechsel mit Narben von verheilten Pusteln überzogen das Antlitz. Der Demaskierte griff wütend zu seinem Messer und fuchtelte damit herum. Prospero war sich zwar nicht sicher, doch glaubte er nicht, dass das Wiesel den Mut besitzen würde, es auch zu benutzen. »Stich zu, wenn du bei lebendigem Leib erst gevierteilt werden willst und dir der Henker anschließend die Gedärme aus dem Bauch kratzen soll. Alle hier haben dich gesehen!« Lambertinis ausgestreckter Finger beschrieb einen Kreis und bestimmte jeden der Anwesenden zum Zeugen. Ohne Maske hatte der Hetzer den Schutz der Anonymität verloren. Er zuckte zurück.
    »Wie heißt du, Priester? Wir werden uns beim Papst über den Eingriff in unsere verbürgten Rechte beschweren.« Der Mann im Advokatenkostüm, der wohl auch im normalen Leben in einer Kanzlei arbeitete, hatte Recht. Auch wenn man darüber streiten konnte, ob die Menschen hier zu weit gegangen waren, so blieb das doch eine moralische Diskussion, denn die Freiheit der drei närrischen Tage vor Beginn der Fastenzeit garantierten die Päpste bereits seit Jahrhunderten. Und er besaß in der Tat kein Recht, hier einzugreifen, zumal auch noch kein Verbrechen geschehen war.
Sollte Blut fließen, würde der Tathergang frühestens nach dem Karneval untersucht werden, allerdings nur insofern ein Kläger auftreten würde.
    »Richtig, führen wir beim Heiligen Vater Klage! Es ist Karneval!«, schimpfte eine Frau trotzig.
    »Was geht’s mich an? Beschwert euch doch beim Papst! Der Teufel holt euch so oder so! Und damit es jeder von euch weiß, mein Name ist Prospero Lambertini«, konterte er unerschrocken.
    Die gefährliche Wendung, die der anfängliche Spaß genommen hatte, missfiel den Narren so sehr, dass sich die Ansammlung rasch verlief. Auch das Wiesel suchte sein Heil in der Flucht, denn mit einer Anklage wegen Häresie war nicht zu spaßen, zumal Prospero bewusst in der Art seines Auftritts einen Inquisitor imitiert hatte.
    »Lieber, guter Freund! Was ist passiert?«, fragte er mit einer Mischung aus Mitleid und Erschütterung in der Stimme den armen Velloni, der mit dem Messer in der Hand dastand und die ganze Auseinandersetzung fassungslos verfolgt hatte. Lambertini schloss ihn in die Arme, wie man es mit einem Kind macht, dass dringend des Trostes bedarf. Sie verharrten in dieser Haltung
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