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Und stehe auf von den Toten - Roman

Titel: Und stehe auf von den Toten - Roman
Autoren: Heyne
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Er warf einen Blick auf Velloni, dem seine immense Erschöpfung deutlich anzusehen war. Rasch führte Gioacchino seine Gäste in die Wirtschaft und reichte dem Philologen erstmal einen Grappa, den der mit zitternden Händen zum Mund führte und trank. Die ungewohnte Schärfe des Schnapses trieb ihm Tränen in die Augen, und eine Hustensalve rüttelte seinen schmächtigen Körper durch. Gioacchino rief unterdessen nach seiner Tochter Caterina und befahl ihr im Ton des liebevollen Patriarchen, ein paar Tortellini mit Schweinebauchfüllung im kräftigen Rinderfonds zuzubereiten.
    Das junge Mädchen strahlte vor Freude, Prospero zu sehen. Der junge Hilfsauditor war für sie zu einer Art großem Bruder geworden, seit Gioacchino ihn ohne viel Federlesen zu machen in seine Familie aufgenommen hatte. Doch als ihr Blick auf die zusammengekauerte Gestalt Vellonis fiel, machte sie auf den Hacken kehrt und verschwand wieder in die Küche, um das stärkende Mahl so schnell wie möglich zuzubereiten.
    Ihr Vater setzte sich in seiner leutseligen Art zu dem Philologen, während Caprara seinen Hilfsauditor zur Seite nahm. »Du gehst jetzt zu dem Untersuchungsrichter Spigola. Wenn einer helfen kann, dann er.«
    Prospero schüttelte skeptisch den Kopf. »Der wird keinen Finger rühren!«
    »Du grüßt ihn von mir und erinnerst ihn daran, dass er
mir etwas schuldet. Nun ist die Zeit gekommen, die alte Schuld zu begleichen. Er ist der beste Untersuchungsrichter, den ich kenne. Am Karnevalsmontag verschwinden jedes Mal Mädchen, die sich fast alle wie durch wundersame Fügung am Mittwoch oder am Donnerstag wieder anfinden. Manche allerdings mit einer Frucht in ihrem Leib. Ganz gleich, Spigola wird sie finden. Du aber machst dich, nachdem du den Untersuchungsrichter beauftragt hast, sofort an die Akten der seligen Elisabeth Bartaszoly. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Verstanden?« Prospero nickte.
    Der Auditor beugte sich nun zu Gioacchino und flüsterte ihm etwas ins Ohr, vermutlich, dass er später zum Essen käme, gab ihm zum Abschied einen sanften Klaps auf die Schulter und ließ sich von Pepe auf die Straße begleiten.
    Prospero dachte kurz nach, dann bat er den Wirt, jemanden zu seinem Freund, dem Grafen Valenti Gonzaga zu schicken. Dieser solle sich Vellonis annehmen. Er selbst werde inzwischen Benjamin herbeordern, damit der Arzt den Philologen untersuchen könnte, und anschließend Spigola einen Besuch abstatten. Dann bückte er sich zu seinem geschwächten Freund. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, und wir werden deine Schwester finden. Das schwöre ich dir! Jetzt aber hilf du mir, indem du wieder zu Kräften kommst. Wir brauchen dich dabei!«
    Indem er die Worte sagte, spürte er plötzlich die ungeheure Last des Versprechens. Was, wenn er es nicht würde einlösen können? Diejenigen, die raten, dass man nur schwören darf, was man auch zu halten vermag, hatten leicht reden. Velloni brauchte die Zuversicht des Freundes, etwas, an dem er sich festhalten konnte. Und nun schienen in seiner Hand plötzlich Leben und Tod zu liegen. Er konnte sich keinen Misserfolg leisten.

6.
    P rospero Lambertini hatte den alten Untersuchungsrichter nicht mehr gesehen, seit sie den Mord an dem kleinen Fischerjungen Angelo untersucht hatten. Der Auditor hatte die Aufklärung des Falls zwar nicht direkt behindert, aber er hatte sie auch nicht vorangetrieben. Das alles lag jetzt ein Dreivierteljahr zurück, und Prospero war ganz und gar nicht unglücklich darüber, so lange keinen Anlass für einen Besuch bei Spigola gehabt zu haben. Wenn er jetzt dennoch zu ihm ging, dann nur, weil er der Erfahrung seines Mentors vertraute. Mühsam kämpfte er sich durch die ausgelassenen, auf allen Straßen und Gassen feiernden Menschen bis zum Portico der Octavia durch. Der direkte Weg nach Campitelli führte von hier durch das jüdische Ghetto hindurch. Im Gegensatz zu den anderen Tagen des Jahres, an denen dort überall emsige Betriebsamkeit herrschte, sparte der Weg diesmal viel Zeit, denn die Juden feierten keinen Karneval. Man konnte ihnen nicht verdenken, dass sie diesem Fest zutiefst misstrauten, wurden die jüdischen Männer doch in früheren Zeiten im Anschluss an das Pferderennen zur Belustigung des Poppolos nackt über den Corso getrieben. Um die Beschämung zu vervollkommnen, warfen die Zuschauer je nach Maßgabe ihres Humors mit faulem Obst, Kot, Holzklötzen oder Steinen nach den Laufenden. Mit diesem entehrenden »Wettstreit«
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