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Und Nachts die Angst

Und Nachts die Angst

Titel: Und Nachts die Angst
Autoren: Carla Norton
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im Jeep. Sie kann nicht darauf hoffen, ihm zu Fuß zu entkommen – sie ist barfuß, und draußen ist es stockdunkel –, aber mit dem Jeep könnte sie sich retten. Sie wird damit das Tor niederfahren und Hilfe suchen.
    Es hat sich angehört, als sei er durch die Vordertür hinausgelaufen, also rennt sie daran vorbei zur Seitentür. Wie der Blitz hat sie die Räume durchquert und rennt in den Hauswirtschaftsraum, wo Schmutz und Perlen unter ihren nackten Füßen kleben bleiben. Sie will den Türknauf packen, als sie erstarrt. Ihr eigenes Spiegelbild erbleicht in der Scheibe, und ihr wird klar, dass sie wie ein Fisch im Aquarium beleuchtet wird, während er draußen ums Haus herumstreift. Panisch lässt sie sich zu Boden fallen.
    Wenn er zwischen ihr und dem Jeep ist, was dann? Sie braucht eine Waffe, irgendwas, egal was …
    Sie verflucht sich, dass sie nicht das Stück Glas mitgenommen hat, aber sie kann unmöglich zurück. Im Augenwinkel sieht sie einen dunklen Bereich zu ihrer Rechten und krabbelt auf Händen und Knien hinüber. Sobald sie sich nicht mehr um das Fenster sorgen muss, springt sie auf die Füße und sieht sich rasch um, und was sie entdeckt, lässt sie nach Luft schnappen: ein Waffenschrank.
    Sie dreht am Knauf, und die Tür geht auf. Ein ganzes verdammtes Arsenal, eine ganze Palette polierter, glänzender Waffen, deren Läufe über einem Regal voller ordentlich sortierter Munitionspakete und Pulverdosen exakt nach oben zeigen.
    Sie greift nach etwas, das sie als Flinte erkennt, denkt unwillkürlich an die Erläuterungen von Tillys Bruder und fühlt das schwere, unvertraute Gewicht in den Händen.
    Und dann hört sie ein Geräusch und dreht sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie der Mann die Tür öffnet. Sie schwingt weit auf. Reglos verharrt sie in der Hoffnung, dass er sie in der dunklen Ecke nicht sieht. Einen Herzschlag lang stellt sie sich vor, wie er ins Haus stürmt und sie hinter seinem Rücken hinausschlüpfen kann … doch dann wenden sich seine Schultern ihr zu, seine Augen leuchten auf, und sein Körper scheint anzuschwellen.
    Sie packt das Gewehr mit beiden Händen, versucht, sich an Matts Anweisungen zu erinnern, und entsichert die Waffe mit dem Daumen. Sie richtet den Lauf auf sein Kinn, schiebt den Schaft unbeholfen vor und zurück und sieht, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpft.
    Er setzt ein höhnisches Grinsen auf. »Du weißt noch nicht mal, ob das Ding geladen ist.«
    »Deine Miene hat’s mir gerade verraten.«
    Er schnaubt. »Was ist, willst du mich jetzt erschießen?«
    »Vielleicht.« Sie leckt sich über die Lippen. »Wer bist du?«
    »Wenn du wüsstest, Herzchen.«
    Dr. Lerners Worte erklingen in ihrem Kopf – eine derart narzisstische Persönlichkeit begeht keinen Selbstmord –, und sie zieht scharf die Luft ein.
    »Leg die Waffe weg, Kleine. Du weißt nicht, was du tust.«
    Das Gewehr fühlt sich rutschig in ihren Fingern an. Blut, denkt sie. Von den Glassplittern.
    »Zieh dein Hemd aus«, sagt sie.
    »Was?« Wieder schnaubt er. »Hör zu, leg jetzt das Ding weg. Du kannst ja nicht mal zielen.«
    »Das muss ich auch nicht. Ich muss nur nah genug sein.« Sie tritt einen Schritt vor, und fast unmerklich passiert etwas in seiner Miene. »Das Hemd«, sagt sie. »Ausziehen.«
    Er knöpft das Hemd auf, wobei er die Augen verdreht, als sei das hier nur ein dummes Spiel, streift den Stoff ab und entblößt Schlüsselbein, Brusthaar, Muskeln … bis das Hemd von den Schultern rutscht und den dunklen Ring um den harten Bizeps freigibt. Er wirft der Tätowierung einen Seitenblick zu, dann begegnet er wieder ihren Augen.
    Ihr Magen zieht sich zusammen. »Ich weiß, wer du bist.«
    »Ach ja?« Ein höhnisches Grinsen. »Und jetzt rufst du die Polizei?«
    Unwillkürlich sieht sie zum Tisch hinüber, wo ihre Tasche steht.
    »Na los. Ruf an.«
    Sie kann unmöglich an ihr Handy gelangen und telefonieren, während sie ihn mit der Waffe in Schach hält. Und das wissen sie beide.
    »Ich hatte eigentlich vor, mit dem Messer an dir herumzuschneiden, aber du scheinst das ja schon für mich gemacht zu haben«, sagt er spöttisch. »Du weißt, dass du blutest, nicht wahr?«
    Sie tritt auf den anderen Fuß und spürt etwas Feuchtes, Klebriges zwischen den Zehen. Eigentlich sollte das Gewehr ihr ein Gefühl der Macht verleihen, aber es ist elend schwer in ihren Händen. Sie fühlt sich, als würde sie mit jedem Augenblick tiefer in weiches Wachs sinken.
    Duke blickt auf die
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