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Und manche liebe Schatten steigen auf

Und manche liebe Schatten steigen auf

Titel: Und manche liebe Schatten steigen auf
Autoren: Carl Reinecke
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sei, diese vierhändigen Stücke zu orchestrieren!
     Im Jahre 1850 hatte ich die Freude, das Ehepaar Schumann in Bremen zu begrüßen und Schumanns damals noch ungedrucktes F-Dur Trio von Clara zu hören. Als der zweite Satz des Trios beendet war, fragte mich Schumann mit schlauem Lächeln, ob ich nichts Absonderliches an dem Satze bemerkt habe? Nachdem er zu allem, was ich nur irgend vorzubringen wusste, mit dem Kopfe geschüttelt hatte, zeigte er mir dann endlich, ohne ein Wort zu sprechen, dass während der sechs ersten Takte des Satzes der Bass des Klaviers und das Violoncello streng kanonisch geführt sind, eine versteckte Finesse, die wohl den meisten beim erstmaligen Hören entgehen wird. Auch der dritte Satz ist vorzugsweise kanonisch geführt, und da Schumann an solcher Betätigung kontrapunktischer Virtuosität immer große Freude hatte, so beziehen sich darauf ohne Zweifel die Worte, die er mir kurz nach Vollendung des Trios geschrieben hatte: „Auf den Anfang des Adagio und auf ein Allegretto (statt des Scherzo) freue ich mich immer wieder, wenn es daran kommt.“ In Bremen ward mir dann auch der Vorzug zuteil, mit Clara Schumann in ihrem Konzerte die Variationen für zwei Klaviere von ihrem Gatten zu spielen, wofür ich als Dank den schönen Stich nach dem Rietschelschen Doppelmedaillon mit einer Widmung des Künstlerpaares erhielt. Als ich in Leipzig der von Schumann selbst dirigierten ersten Aufführung seiner Oper „Genovefa“ beiwohnte, hatte ich wenig Gelegenheit, dem viel umworbenen Meister näher zu kommen. Leider trug das Werk nur einen Achtungserfolg davon und ward auch nach zwei weiteren Aufführungen beiseite gelegt. Es ist hier nicht der Ort, zu erwägen, ob das Schicksal der Oper, die auch heute nur noch sporadisch über die eine oder die andere Bühne geht, ein verdientes war oder nicht. Sicher ist aber, dass Schumann, als er die Genovefa schrieb, bereits den Höhepunkt seines Schaffens überschritten hatte, und dass die tückische Krankheit, welcher er im siebenundvierzigsten Lebensjahre zum Opfer fiel, sich schon vorbereitete und ihre Schatten weit voraus warf. Wohl hat er der Welt auch in seinen letzten Lebensjahren noch manches Herrliche geschenkt, unter anderem die sogenannte „Rheinische Symphonie“, „Der Rose Pilgerfahrt“, und vor allem die Musik zu Byrons „Manfred“. Seine allerbedeutendsten Schöpfungen, „Paradies und Peri“, die Symphonien in B-Dur, C-Dur und D-moll, seine schönsten Kammermusikwerke, seine herrlichsten, unvergänglichen Lieder und seine besten Klavierkompositionen waren aber schon vor der „Genovefa“ geschrieben, und selbst Schumanns größte Verehrer, zu denen ich mich wohl zählen darf, können sich nicht verhehlen, dass in seinen späteren Werken, namentlich in den letzten, nicht mehr die Frische und das Überquellende der Erfindung, nicht mehr die Formschönheit zu finden ist, die viele seiner Schöpfungen aus früherer Zeit so bewundernswert machen. So entdeckte ich denn auch beim persönlichen Verkehr mit Schumann – ungefähr vom Jahre 1850 an – eine Veränderung seines Wesens, selbstverständlich aber, ohne eine Ahnung davon zu haben, wodurch sie begründet war. Er war noch stiller geworden, fand zuweilen schwer das Wort, nach dem er suchte, und klagte, namentlich in den letzten Jahren, oft darüber, dass er viertelstundenlang und länger einen Ton oder mehrere laut klingen höre, während es in der Tat still um ihn her wäre. Es waren die ominösen Sinnestäuschungen. Auch seine Art zu dirigieren wurde mit der Zeit unzuverlässiger, und ich entsinne mich einer sehr peinlichen Konzertprobe, in der ich unter seiner Direktion die Beethovensche Phan  tasie für Klavier, Chor und Orchester probieren musste. Der Solist, welcher ursprünglich in Aussicht genommen war, hatte krankheitshalber plötzlich absagen müssen, und deshalb zitierte Schumann mich am frühen Morgen des Konzerttages von Köln nach Düsseldorf. Schnell raffte ich das Nötige zusammen, dampfte nach Düsseldorf ab und eilte sofort in die Probe. Sie war aber, wie erwähnt, eine sehr peinliche und abspannende, denn Schumann konnte sich nicht mehr schnell genug in die oft wechselnden Tempi hineinfinden, und es musste ewig wiederholt werden, bis endlich der Konzertmeister und ich selbst die Direktion hinter Schumanns Rücken in die Hand nahmen. Erfreulicher waren manche anderen Begegnungen; denn in kurzen Perioden war Schumann von solchen Krankheitserscheinungen ganz
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