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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt
Autoren: C Westendorf
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und trank es anschließend in einem Zug leer.
    Schwere Schritte polterten die Treppe herunter, die Tür wurde aufgeschlossen.
    „Na, aufgewacht?“
    Esther glaubte nicht, dass man eine Antwort von ihr erwartete.
    „Ich hab dir doch gesagt, George, die Dröhnung war nicht stark genug. Die Alte hat ganz schön was auf den Rippen.“
    Sie spürte, wie ihr Körper zu zittern begann, mit großer Anstrengung zwang sich Esther zu einer festen Stimme.
    „Warum haben Sie mich entführt? Sind Sie verrückt geworden?“
    Sie hielt den Atem an und hoffte, man würde sie nicht schlagen. Die Männer schienen verdutzt, für Esther verstrichen endlose Sekunden, bis endlich einer der beiden antwortete.
    „Du hältst das Maul, wir stellen hier die Fragen, ist das klar?“
    „Kann ich etwas Wasser haben?“
    Jetzt lachten sie, die Entführer befanden sich wieder auf vertrautem Terrain. Die beiden Männer stellten ihr zwei Eimer hin und warfen noch einen Stapel alter Tageszeitungen hinterher.
    „Sieh zu, hier ist dein Badezimmer und eine Erfrischung. Das Essen müssen wir noch aus dem .Vierjahreszeiten‘ bestellen.“
    Die Tür wurde zugeschlagen. Esther startete einen letzten Versuch, ihre Lage zu verbessern.
    „Halt“, rief sie, „ich kann mich mit dieser Maske überhaupt nicht zurechtfinden.“
    „Kannst sie jetzt abmachen. Aber wenn wir reinkommen, hast du das Ding wieder auf deinem hässlichen Schädel, klar?“
    Als die Männer fort waren, konnte Esther Lüdersen sich endlich die quälende Maske von ihrem Gesicht herunterziehen. Das Licht traf sie unvermittelt, ihre Augen brannten und ihr wurde schwindelig. Sie lehnte sich an die Wand, atmete dabei tief in den Bauch ein. Dann blinzelte sie vorsichtig an die Decke und stellte erleichtert fest, dass sich ihre Augen mittlerweile an die Helligkeit gewöhnt hatten. Esther schaute sich in ihrem Gefängnis um, sie befand sich in einem fensterlosen Kellerraum von ungefähr sechzehn Quadratmetern. Als einzige Möblierung lag eine am Fußteil aufgesprungene Matratze in der Ecke. Sie war allein, hier gab es nichts als Dreck und ein paar Kellerasseln. Künstliches Licht kam aus einer in die Deckenfassung geschraubten nackten Glühbirne. Ihr Hals wurde eng. Wie sollte sie hier jemals wieder lebendig herauskommen? Alfons würde sicher alles dafür tun, sie zu befreien, aber jetzt musste sie einen Teil des Weges allein bewältigen. Was hatte es für einen Sinn, kampflos auf den Tod zu warten? Esther war kein Opfer, sie würde mehr tun, als zu zappeln und um Hilfe zu flehen. Verbissen begann sie die Tür zu untersuchen, die im Unterschied zum Rest des Raumes neu aussah und aus Metall war. Irgendwo in den unendlichen Weiten ihrer Handtasche müsste noch das rote Messer sein, das Alfons ihr aus der Schweiz mitgebracht hatte. Esther hätte ihn auf dieser Reise gerne begleitet, so wie früher, aber Alfons hatte erklärt, dass sie dort keine gemeinsame Zeit miteinander haben würden. Seine Tage in Zug seien vollgestopft mit Terminen. Statt ihrer hatte er Frau Stadelmeier mitgenommen, eine Sekretärin aus der Firma, die vorzügliches Schweizerdeutsch sprach. Frau Stadelmeier war nicht die erste Mitarbeiterin gewesen, die in den Genuss einer Geschäftsreise mit Alfons kam. Das sanfte Schimmern, seine Sehnsucht, dehnte sich von Zeit zu Zeit aus auf andere Frauen. Trotzdem wusste Esther, dass er sie noch immer liebte. Sie hatte gelernt, das eine vom anderen zu trennen. Ja, sie war sogar in der Lage gewesen, sich über das Mitbringsel aus der Schweiz zu freuen.
    „Ein Messer wie dieses muss man immer dabei haben. Irgendwann wirst du mir noch einmal dankbar dafür sein.“
    Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen. Esther hob die Decke von der Matratze, aber da war keine Tasche. Ihre Entführer waren nicht so einfühlsam gewesen, ihr die braunlederne Begleiterin, ihre Nachtcreme und die Taschentücher sowie das Schweizermesser dazulassen. Bis ihr etwas Besseres einfiel, würde sie also träumen und auf Alfons warten. Trotzdem war die Lage nicht aussichtslos: Hotel „Vierjahreszeiten“ hatten die Männer gesagt. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sie sich noch immer in heimischen Gefilden aufhielt und nicht in irgendeinem Kaff in Weißrussland oder Polen.
    Olaf Maas saß auf dem blauen Velourssessel in Esther Lüdersens Wohnzimmer und steckte sich die vierte Zigarette an. Dann schaltete er den Fernseher ein und hoffte, dass ihn die bewegten Bilder von seinen Sorgen ablenken würden. Nach
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