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Und jeder tötet, was er liebt

Und jeder tötet, was er liebt

Titel: Und jeder tötet, was er liebt
Autoren: C Westendorf
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blendeten sie.
    „Hallo, können Sie mir Esther erstarrte.
    Zwei Männer sprangen aus dem Wagen heraus, liefen auf sie zu. Die Gesichter waren schwarz maskiert wie bei Motorradfahrern. Esther hatte keine Zeit zu fliehen, sofort richtete einer eine Pistole auf sie. Jemand presste ihr etwas auf Mund und Nase. Der Geruch von Äther, dann wurde es dunkel um sie. Dunkelheit und Stille.
    „Morgen gibt’s Gemüsesuppe“, bestimmte Anna Greve.
    „Och, ssschon wieder so ’ne Plörre, kannst du nicht mal Eierpfannkuchen machen?“
    Ben, ihr ältester Sohn, brachte, seit er eine Zahnspange tragen musste, bei den scharfen S-Lauten nur noch einen Zischton hervor.
    Auf Annas Stirn bildete sich die erste Ärgerfalte an diesem Nachmittag.
    „Morgen gibt’s Gemüsesuppe, Pfannkuchen übermorgen.“
    „Nee, dasss iss uncool, nie geht mal wasss sofort.“
    Ben trat gegen die Küchentür und stürmte nach oben.
    „Hau ab, Blödmann, ich war zuerst da!“
    Bens jüngerer Bruder Paul hatte den Platz vor dem Badezimmerspiegel für seine Haarpflege in Beschlag genommen und war deswegen gerade von seinem älteren Bruder angerempelt worden. Aber auch Paul hatte, wie meistens in der letzten Zeit, offensichtlich kein Interesse an Verständigung. Er war elf Jahre alt, Ben dreizehn.
    „Selber Blödmann, du Baby, verssschimmel doch mit deinem bescheuerten Haargel.“
    Aus dem ersten Stock drangen bekannte Töne zu Anna Greve hinunter, das übliche Türengeknall und anschließend laute Musik. Manchmal war die Streiterei unter den Jungen wirklich nicht auszuhalten. Früher waren sie so gut miteinander ausgekommen, aber seit sich die Pubertät in ihren Kindern breit machte, gab es nur noch Krieg.
    „Ruhe da oben.“
    Anna stellte die abgewaschenen Töpfe weg und räumte den Geschirrspüler aus. Sie musste Geduld haben, ihre Berufstätigkeit war auch für die Jungen eine neue Situation. Mit der Zeit würden sie sich schon daran gewöhnen, schließlich arbeitete die Kommissarin gerade erst wieder seit ein paar Tagen beim Landeskriminalamt in Hamburg. Tom, Annas Mann, hatte versprochen, sich morgen um die Kinder zu kümmern, denn es konnte spät werden. Anna Greve sollte ihre neue Abteilung kennenlernen. Normalerweise übernahm Elisabeth die Betreuung der Kinder am Nachmittag, doch ihre Mutter musste am nächsten Tag zu einem schon oft verschobenen Zahnarzttermin. Anna wusste, wie sehr Elisabeth vor der anstehenden Parodontosebehandlung graute. Grinsend holte Anna die Lebensmittel aus dem Kühlschrank, dann betrachtete sie all die Sachen, die sich nun vor ihr auf der Arbeitsplatte auftürmten, und ließ sich zurück in ihren Stuhl fallen. Ein Kaffee und eine Zigarette waren jetzt genau das Richtige. Sie streckte die Füße unter dem Küchentisch aus und sah dem ersten Rauchkringel nach, der sich gerade vor ihren Augen auflöste. Die letzten Jahre waren wie im Fluge vergangen in ihrem kleinen Dorf am Rande der Lüneburger Heide. Anna hatte in ihrem Leben schon vieles gesehen und sehnte sich damals, als sie schwanger geworden war, nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Jetzt war eine neue Lebensphase angebrochen, große Veränderungen lagen vor ihr. Die unangenehmste würde wohl der tägliche Weg zur Arbeit werden. Anna lebte südlich von Hamburg und das Landeskriminalamt befand sich im Norden der Stadt. Das hieß, zweimal am Tag durch den Elbtunnel zu fahren, in Zukunft würde sie wohl einen guten Teil ihrer täglichen Freizeit im Stau stehen. Und sie würde sich wieder mit der hässlichen Seite der Wirklichkeit beschäftigen müssen. Größer konnte der Kontrast zu ihrem bisherigen gewohnten Leben kaum sein.
    Langsam kam Esther Lüdersen zu Bewusstsein. Stille. Sie öffnete die Augen, aber da war nichts. Nur Dunkelheit. Benommen betastete sie ihre Wangen. Sie war nicht blind, sondern fühlte etwas Kratziges in ihrem Gesicht, wie die Wollstrumpfhosen, die sie als Kind so gehasst hatte. Jemand hatte ihr eine Mütze oder etwas Ähnliches über den Kopf gezogen. Durch ein frei geschnittenes Loch für die Nase konnte sie zwar einigermaßen atmen, doch das Paketklebeband, mit dem die Mütze fixiert war, schnürte an ihrem Hals. Sie begann, daran zu reißen, aber sie traute sich nicht, es ganz zu entfernen. Esther spürte, wie ihr Herz klopfte, schnell und unregelmäßig. Was würde sie sehen, wenn sie sich befreite? Sie blieb reglos liegen und wünschte sich, aus diesem bösen Traum zu erwachen. Doch nach einer Weile konnte sie die wirkliche Welt nicht
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